Frauen in Europa: Rollen, Verständnis und Herausforderungen

Dr. Petra Püchner

Dr. Petra Püchner (Foto: Steinbeis Europa Zentrum)

Petra Püchner ist seit Januar 2018 Europabeauftragte der Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg. Der Fokus ihrer Tätigkeit als Europabeauftragte liegt in der Stärkung der Innovationskraft der baden-württembergischen Wirtschaft. Zum 9. Mai, dem Europatag, haben wir sie zum Thema Frauen und Europa befragt. 

 

Im Gleichstellungsranking liegt Deutschland im Europavergleich auf den letzten Plätzen. Was machen andere Länder besser als Deutschland?

Püchner: Am Zugang zu Wissen und Aus- und Weiterbildung liegt es nicht, dass Frauen in Deutschland den Männern nicht gleichgestellt sind. Viele Frauen machen ihren Bachelor oder auch Master, aber danach promovieren nur wenige und schon gar nicht in technischen Berufen. Das hat sich leider kaum verändert. Wenn die Frauenquoten bei Unternehmen höher sind, dann liegt das oft daran, dass sie Frauen aus Lateinamerika, Spanien und Italien eingestellt haben. Wir haben in Deutschland weniger Frauen, die in technische Berufe gehen. Aber das heißt nicht, dass wir keine qualifizierten Frauen haben! Aber in Männerwelten, wie dem Energiebereich zum Beispiel, werden Frauen immer noch nicht richtig ernst genommen. Viele dieser Frauen haben auch keine Lust auf die (Macht-)Spielchen der Männer und gehen da nicht mit. Sogar im Ausland heißt es oft, die deutschen Männer wissen alles besser. Das scheint in Spanien und Italien anders zu sein. Möglicherweise wird dort eher eine Gendergleichheit gewollt und gefördert.

 

Die nordeuropäischen Länder liegen bei der Gleichstellung vorne. Woran liegt das?

Püchner: Diese Staaten haben eine andere sozioökonomische Zielsetzung und wollen mehr Gleichheit insgesamt. Auch ihr Steuersystem unterscheidet sich von unserem. Diese riesigen Flächenländer haben früh damit angefangen, Frauen als Unternehmerinnen zu fördern, weil sie gemerkt haben, dass sie aktive Frauen vor Ort in ihren Gemeinden brauchen. Erfolgreiche Frauen oder Unternehmerinnen engagieren sich sofort sozial in ihren Kommunen. In dem Moment wo sie ein Unternehmen gründen, kümmern sie sich um das, was in ihrem Dorf passiert. Das verhindert, dass alle vom Land in die Städte ziehen und die Dörfer aussterben. Die Frauen bekommen dazu sehr viel Unterstützung vor Ort.

In manchen dieser Länder werden Frauen auch gezielt durch Programme der Regierung geschult, um sie für Posten in Aufsichtsräten vorzubereiten und in Unternehmen zu vermitteln. Damit fallen die Argumente der Unternehmen, dass Frauen als Aufsichtsräte zu wenig zu finden sind, weg. Deutschland sollte sich das als Beispiel nehmen.

 

Nur 22 Prozent der MINT-Jobs sind europaweit mit Frauen besetzt. Wie kommt das?

Püchner: In Ländern wie Portugal oder Spanien sind es mehr Frauen, die in MINT-Berufe gehen. Möglicherweise liegt es dort an der Schulbildung, wo weniger Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gemacht werden. Bei uns herrschen immer noch die gängigen Stereotypen vor. Es gibt immer noch das Bild, dass Mädchen für das Künstlerische und Jungen für das Mathematisch-Technische stehen. Aber es fängt auch schon früher an, wie ein bekanntes Beispiel zeigt: Nimmt ein Mädchen einen Teddybär auseinander, um zu gucken was drin ist, wird es geschimpft. Ein Junge, der ein Auto auseinandermontiert, wird gelobt, weil er dann vielleicht mal Ingenieur wird.

 

Wie lässt sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen steigern?

Püchner: Es gibt ja leider immer noch Frauen, die zwar studieren, aber dann, wenn sie Kinder kriegen, sehr lange Zeit zuhause bleiben wollen. Häufig wird der Wiedereintritt schwer, wenn Frauen für einige Jahre ganz aus dem Berufsleben draußen sind. Die Unternehmen sollten den Kontakt halten, Weiterbildungen ermöglichen, damit ein Wiedereinstieg machbar ist. Es ist ein großer Verlust, wenn ausgebildetete Ingenierinnen einen Second-Hand-Laden öffnen und nicht in ihren erlernten Beruf zurück finden.

Aber bei vielen jüngeren Frauen ändert sich da gerade was. Wir haben im Steinbeis Europa Zentrum zum Beispiel im Bereich Nachhaltigkeit viele junge Frauen. Wenn sie Kinder bekommen, wollen sie nach einem Jahr wieder zurück in den Job, zum Beispiel mit einer halben Stelle. Wir nehmen jede mit Handkuss zurück, auch wenn sie nur mit 20 Prozent wieder einsteigen will. Mittlerweile gibt es ja auch Familien, in denen Frauen besser verdienen als ihre Männer. Und dann entscheiden sich die Männer, zuhause bei den Kindern zu bleiben. Sie wechseln sich dann ab bei der Kinderbetreuung, aber nur er reduziert. Das sind natürlich noch wenige, aber es ändert sich was. Zumindest ermöglichen mittlerweile viele Väter, die Elternzeit nehmen, ihren Frauen, früher in den Beruf zurückzukehren. Das ist wichtig, dass der Staat das fördert.

Auf der Führungsebene – aber nicht nur da - gibt es ja auch immer mehr Tandems, also zwei Frauen, die sich einen Job teilen, was gut funktioniert.

 

Welche Bedeutung haben Frauen, wenn man an Innovationen denkt, die für einen Wirtschaftsstandort wie Baden-Württemberg so wichtig sind?

Püchner: Bei der Entwicklung von Innovationen sollte man nicht nur auf Unterschiede zwischen Männern und Frauen achten, sondern auch auf Alter und Ausbildung – auch nicht alle Männer sind gleich! Wenn man schaut, was eigentlich gebraucht wird, kann man gendergerecht auch gute Angebote machen. Ich denke da an meine Fußbodenheizung. Da muss man mit Leiter und Taschenlampe bewaffnet einen winzigen Regler verstellen. Da scheitere ich sogar als technikaffine Ingenieurin. Oft entwickeln die Männer die Produkte und Frauen sind aber die Nutzerinnen, die damit zu Recht kommen müssen. Die Produkte müssen so funktionieren, dass sie die Bedürfnisse der Anwenderinnen und Anwender treffen. Nicht andersrum! Nicht die Menschen müssen sich ändern, sondern die Geräte müssen bedienbar sein. 

 

Ein großes Thema im Moment ist die Künstliche Intelligenz (KI). Bringt KI Vor- oder Nachteile für Frauen?

Püchner: Die Gefahr, dass eine KI Geschlechterungleichheit reproduziert und verstärkt („Genderbias“) ist groß. Es gibt ja keine wirkliche Intelligenz in den Systemen. Die Algorithmen lernen und reproduzieren das, was sie vorfinden. Man kann die Quellen der Aussagen einer KI häufig nicht nachverfolgen, sieht nicht, was Interpretation und was Fakt ist. Wenn die Quellen nicht stimmen, kommt ein Blödsinn raus. Wir sollten als Gesellschaft verstehen, dass KI eine Gefahr birgt und dass man immer schauen muss, woher eine Aussage kommt, bevor man sie glaubt.

 

Sie haben Karriere in der Wirtschaftsförderung gemacht und sind Europabeauftragte des Wirtschaftsministeriums. Was würden Sie jungen Frauen, die aufsteigen wollen, raten?

Püchner: Ich wollte immer was „Vernünftiges“ machen. Etwas, das Sinn macht und konkrete Auswirkungen hat. Das geht sehr vielen Frauen so. Frauen sollten mutig sein, das zu tun, was ihnen Freude macht, auch wenn es nicht der einfache Weg ist.

Auf dem Weg nach oben ist das Wissen allein nicht entscheidend, es geht auch darum, mit Macht in einer guten und positiven Weise umgehen zu können und sich nicht davor zu scheuen, Stärke zu zeigen. Das sollten Frauen auf ihrem Weg frühzeitig lernen können!

 

Wir danken Ihnen für das Interview!