Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Geschlechterrollen in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich modernisiert. Doch eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt: Im Vergleich zu den nordischen Ländern hinkt Deutschland immer noch hinterher – um etwa vier Jahrzehnte.
Auch weltweit hat sich das Frauenbild weiterentwickelt. Allerdings entspricht das Frauenbild, das heute in der Mehrzahl der untersuchten Länder vorherrscht, dem Frauenbild Deutschlands in den 1950er Jahren – hinkt also noch weiter hinterher.
Basis der Studie des DIW sind Daten einer regelmäßigen, weltweiten und repräsentativen Erhebung, in der die Einstellungen zur Rolle der Frau in den Bereichen Arbeitsmarkt, Familie, Bildung und Politik im Lauf der Zeit gemessen werden. Es wird überprüft, wie stark die Befragten bestimmten Aussagen zustimmen oder diese ablehnen.
Während Schweden bereits in den 1980er Jahren ein Frauenbild hatte, das auf Gleichberechtigung basierte, hatte Deutschland die schwedischen Werte der Achtziger Jahre erst im Jahr 2020 erreicht. Besonders in Fragen wie der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt oder der politischen Repräsentation bleibt Deutschland hinter Ländern wie Schweden, Norwegen oder Finnland zurück.
Im Vergleich zu Süd- und Osteuropa zeigt sich Deutschland jedoch deutlich fortschrittlicher. Länder wie Italien, Spanien oder Rumänien weisen weiterhin traditionellere Einstellungen auf. In Italien, beispielsweise, geriet der Modernisierungsprozess in den letzten Jahren ins Stocken, während in Deutschland die Ablehnung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten kontinuierlich zunimmt. Dennoch bleibt der Unterschied zu den nordischen Ländern eine Herausforderung.
Die Studie zeigt jedoch auch, dass die Einstellungen in Deutschland sich verändern: Über 80 % der Befragten lehnen inzwischen die Aussage ab, dass Männer bei Jobknappheit bevorzugt werden sollten. Im Jahr 1990 lehnten diese Aussage nur 55,5% ab. Auch in den Bereichen Bildung und Politik werden Frauen zunehmend als gleichberechtigt wahrgenommen.
Jüngere Menschen bis 40 Jahre, Frauen und Hochschulabsolvierende treiben den Wandel voran. So lehnten 83% der Frauen, 86% der bis 40-Jährigen sowie 88% der Menschen mit Hochschulabschluss die Aussage zum Thema Jobknappheit ab, aber nur 78% der Männer. Weitere deutliche Unterschiede: In Ostdeutschland sind die Einstellungen moderner als im Westen, und ältere Generationen halten stärker an traditionellen Rollenbildern fest.
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass Deutschland auf einem guten Weg ist, aber noch viel Potenzial hat, um die egalitären* Werte der nordischen Länder zu erreichen. Um den Fortschritt zu beschleunigen, braucht es gesellschaftliche und politische Maßnahmen, die die Gleichstellung weiter fördern.
Außerdem betonen die Autorin und der Autor der Studie, dass die Modernisierung des Frauenbildes, die die Forschenden in vielen Ländern festgestellt haben, kein zwangsläufiger Prozess sei. Es sei unklar, ob und wann Deutschland zu den skandinavischen Ländern aufschließen werde. Auch ob die südeuropäischen Länder weitere Fortschritte verzeichnen werden, sei nicht ausgemacht. So sei der Modernisierungsprozess zum Beispiel in Italien und Spanien in jüngster Vergangenheit eher ins Stocken geraten.
Lukas Menkhoff und Katharina Wrohlich vom DIW nutzten in ihrer Studie Daten der World Values Survey Association. Deren World Value Survey (WVS) ist ein internationales Projekt, das seit 1980 in bis zu 90 Ländern etwa alle fünf Jahre eine jeweils repräsentative Befragung der erwachsenen Bevölkerung vornimmt. Darin werden die Einstellungen zur Rolle der Frau in den Bereichen Arbeitsmarkt, Familie, Bildung und Politik im Lauf der Zeit gemessen. Es wird überprüft, wie stark die Befragten folgenden Aussagen zustimmen oder diese ablehnen:
Menkhoff und Wrohlich haben für ihre Auswertung alle verfügbaren Befragungen des WVS aus den Jahren 1981 bis 2022 herangezogen und die deutsche Entwicklung mit anderen Gesellschaften der Welt verglichen.
____________________________________________________________________________
Warum sich Gleichstellungsmaßnahmen auch für Unternehmen wirtschaftlich lohnen? Das erfahren Sie auf unserer Themenseite.