Mein Weg in … die öffentliche Verwaltung, Teil 1

Portraitfoto von Yasemin Özbek, die einen hellblauen Blazer trägt und ein silberfarbenes Kopftuch

Yasemin Özbek geht ihren Weg in der öffentlichen Verwaltung (Foto: Stadt Heilbronn)

In der neuen Themenreihe "Mein Weg in ..." stellen wir auf der Digitalen Plattform Frau und Beruf Baden-Württemberg Frauen mit Migrationshintergrund vor, die in Baden-Württemberg beruflich Fuß gefasst haben. Ziel ist es, anderen Migrantinnen praxisnahe Einblicke und Anregungen für ihren eigenen beruflichen Weg zu geben.

Den Auftakt macht Yasemin Özbek (39) aus Neckarsulm. Nach vielen Jahren als Projektmanagerin und Assistentin in der Stabsstelle Integration arbeitet sie heute als Sachbearbeiterin im Sozialamt Heilbronn und bereitet sich berufsbegleitend auf ihren nächsten Karriereschritt in der öffentlichen Verwaltung vor. Im Interview berichtet sie von ihrem Werdegang, ihren Herausforderungen und ihrem Engagement für andere Migrantinnen. Lesen Sie hier im ersten Teil, mit welchen Voraussetzungen Yasemin Özbek nach Deutschland kam und welche ersten Schritte sie unternahm, um Fuß zu fassen.

Sprache, Kultur und gesellschaftliche Strukturen kennenlernen

Frau und Beruf (FuB): Frau Özbek, neben vielen anderen ehrenamtlichen Aufgaben, engagieren Sie sich als Mentorin im Mentorinnen-Programm für Migrantinnen, weil Sie die Situation der Mentees sehr gut nachvollziehen können. Wie war Ihr eigener Weg nach Deutschland?

Yasemin Özbek (YÖ): Im September 2004 kam ich der Liebe wegen aus der Türkei nach Heilbronn. Ich hatte meinen türkischen Schulabschluss, sprach neben meiner Muttersprache Englisch und Arabisch, aber kein Deutsch. Es gab damals kaum spezielle Unterstützungsangebote* für Migrantinnen und auch familiär war es am Anfang schwierig, direkt einen Deutschkurs zu besuchen. Aber ich wollte unbedingt die deutsche Sprache lernen und mir etwas aufbauen. Mit Hilfe von deutsch-türkischen Büchern habe ich mir Deutschkenntnisse bis zum Niveau B1 selbst angeeignet.

FuB: Konnten Sie denn die Sprache auch praktisch ausprobieren?

YÖ: Durch meinen ersten Nebenjob und ehrenamtliche Tätigkeiten. Mir war es wichtig, so viel wie möglich in das Leben in Deutschland einzutauchen. Ich arbeitete im Jahr 2008 als Putzkraft in einer Heilpraktiker-Praxis, wo ich erstmals Deutsch im Alltag sprach. Diese vier Stunden in der Woche waren so etwas wie heilige Momente für mich: Da konnte ich mit Menschen außerhalb meiner Familie richtig Deutsch sprechen. Es war eine wirklich schöne und für mich wichtige Erfahrung, von meinem Gegenüber auch verstanden zu werden. Später beriet ich als Elternbegleiterin bei der Diakonie türkische Familien im deutschen Schulsystem. Außerdem bildete ich mich an der Akademie für Innovative Bildung und Management am Bildungscampus Heilbronn zur Sprachförderdozentin an Grundschulen weiter. Durch all diese kleinen Schritte verbesserte ich nicht nur meine Sprachkenntnisse, sondern entwickelte mich auch persönlich weiter und lernte viel über Deutschland.

Biografie Yasemin Özbek

Ich wollte nicht nur die Sprache lernen, sondern mich vielfältig zu Kultur und Strukturen und Möglichkeiten in meinem neuen Heimatland weiterbilden.

Yasemin Özbek

Der Weg in den Beruf

FuB: Wie verlief Ihr Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt?

YÖ: Mein türkischer Schulabschluss wurde 2011 als Realschulabschluss anerkannt. Alternativ hätte ich mit einem Jahr auf der Abendschule die Fachhochschulreife erlangen können, aber da mein zweites Kind gerade geboren war, war das keine realistische Option und ich entschied mich für eine Ausbildung. Das erschien mir eine solide Grundlage für die berufliche Zukunft. Ich absolvierte Praktika in verschiedenen Bereichen und entschied mich schließlich für eine kaufmännische Ausbildung.

 

FuB: War es schwer, eine Ausbildungsstelle zu finden?

YÖ: Ja, das war es leider. Tatsächlich machte ich die Erfahrung, dass viele Betriebe Vorbehalte wegen meines Kopftuchs und vermeintlicher kultureller Unterschiede hatten. Ich erhielt viele Absagen, aber ich wollte nicht aufgeben. Schließlich fand ich im Jahr 2013 eine Ausbildungsstelle als Kauffrau für Büromanagement bei der WingTsun Akademie Heilbronn (Selbstverteidigungsschule) in der Heilbronner Zentrale.

 

FuB: Was war die größte Herausforderung in der Ausbildung und wie haben Sie die gemeistert?

YÖ: Die größte Herausforderung war die Berufsschule, insbesondere Fächer wie BWL, AVL mit den vielen Fachbegriffen und Gesetzen. In den ersten drei Monaten verstand ich so gut wie nichts, obwohl ich in meinen Alltagssprachkenntnissen schon so viel erreicht hatte. Während deutsche Mitschülerinnen und Mitschüler einen Satz vielleicht zweimal lesen mussten, um ihn zu verstehen, brauchte ich 15 Anläufe. Ich beschloss, Begriffe fortan direkt auf Deutsch zu lernen, statt mir alles ins Türkische zu übersetzen. Das war der Schlüssel. Am Ende schloss ich die Ausbildung mit der Note 2,6 ab.

 

FuB: Sie hatten zur Zeit der Ausbildung ja bereits zwei kleine Kinder. Wie wirkte sich das auf Ihre Ausbildung aus?

YÖ: Als ich meine Ausbildung begann, war meine Tochter gerade 2 Jahre alt und besuchte den Kindergarten, während mein Sohn mit 6 Jahren in die 1. Klasse kam. Ich hatte sehr sehr wenig Schlaf! (*lacht) Die Tage waren immer voll. Wenn abends nach Grundschule, Kita und Turnen oder Musikschule, Hausaufgaben, lernen, spielen, essen endlich Zeit für mich war, musste ich den Berufsschulstoff lernen. Das war sehr zeitintensiv und eine anstrengende Zeit. Aber ich wollte durchhalten.

 

FuB: Wie kam es zum Schritt vom Unternehmen in die öffentliche Verwaltung?

YÖ: Nach dem Abschluss blieb ich zwei Jahre in meinem Ausbildungsbetrieb, weil ich mich wohl fühlte und der Betrieb mir viel Wertschätzung entgegengebracht hatte. Aber ich war auch neugierig und wollte wissen, wo ich mit dem Abschluss auf dem Arbeitsmarkt stehe und wagte meinen ersten Bewerbungsversuch im Verwaltungsbereich der Hochschule Heilbronn. Auch wenn ich die Stelle dort am Ende ganz knapp nicht bekam, war das Absageschreiben der Abteilungsleiterin für mich ein weiteres Schlüsselerlebnis auf meinem beruflichen Weg in Deutschland. Das Schreiben war so persönlich und voller Wertschätzung und ging auf meine individuelle Situation ein. Daraus schöpfte ich viel Kraft und Mut und wusste, dass ich noch viel erreichen kann. Weil ich mich in meiner Ausbildungsfirma wohl fühlte, war mir klar, dass ich -wenn ich die Stelle einmal wechseln sollte – in keine andere Firma, sondern in die öffentliche Verwaltung wechseln würde. 2018 gelang mir ein Volltreffer und eine Stelle in der Stabsstelle Integration der Stadt Heilbronn. Dort war ich in meinem Element, Assistentin der Leitung, Ansprechpartnerin für einige Vereine, Organisationen, Moscheen und baute zahlreiche Kontakte auf. Viel habe ich dabei meiner damaligen Chefin Roswitha Keicher zu verdanken: Sie hat in mir niemals nur das Kopftuch, sondern mich immer als gesamten Menschen gesehen und mich rundherum gefördert. So durfte ich ab 2019 auch Projekte übernehmen. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen bildete ich zum Beispiel 16 interkulturelle Umweltmentorinnen und -mentoren aus verschiedenen Kultur- und Sprachkreisen aus. Diese haben dann in kürzester Zeit 300 Haushalte mit Informationen über Nachhaltigkeit oder Energiesparen versorgt. Es folgten viele weitere Projekte. Diese Aufgaben haben mir einen richtigen Schub gegeben und ich habe viel über Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung gelernt -  von der Vorbereitung von Verwendungsnachweisen über das Finanzcontrolling bis hin zur Teamsteuerung. Flankiert habe ich die Arbeit in der Stabsstelle mit einer Fortbildung zur interkulturellen Mediatorin.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil des Interviews, wo Yasemin Özbek heute arbeitet und wie sie ihre Karriere vorantreibt.

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*Die Kontaktstelle Frau und Beruf Heilbronn-Franken entstand im Jahr 2016.