Von der "Jugend forscht"-AG zur Ingenieurin für Luft- und Raumfahrt

Charifan Osso neben dem wasserstoffangetriebenen Prototypen "HY4" (Foto: Charifan Osso)

Ingenieurin Osso gibt zwei Testpiloten des "HY4" letzte Anweisungen vor einem Testflug am Stuttgarter Flughafen (Foto: H2Fly GmbH, Maks Richter)

Von der "Jugend forscht"-AG zur Ingenieurin für Luft- und Raumfahrt

Charifan Osso, 26, hat einen Bachelor- und einen Masterabschluss in Aerospace Engineering, eine Segelflugzeugpilotenlizenz und arbeitet bei der Stuttgarter Firma H2Fly mit daran, Wasserstoffantriebe für Flugzeuge zu entwickeln. Im Interview erzählt sie, wie aus ihrer Faszination für Chemieexperimente in der Schule eine Leidenschaft für Natur und Technik und schließlich ein Beruf wurde.

 

Frau Osso: Wie kam es zu Ihrer Studien- bzw. Berufswahl in einem so genannten MINT-Bereich? Was fasziniert Sie an den Naturwissenschaften?

Während meiner Schulzeit habe ich schon gemerkt, dass ich mich sehr stark für naturwissenschaftliche Fächer interessiere. Als ich im Chemie-Unterricht in der Mittelstufe selbstständig weiterexperimentierte, kam meine Lehrerin auf mich zu und hat mich in die AG „Jugend forscht“ eingeladen. Dort verbrachte ich meine Nachmittage im Schullabor und entwickelte meine Faszination für den MINT-Bereich. Wäre meine Faszination nicht gewesen, hätte ich wahrscheinlich nie ein Ingenieurstudium angefangen. Denn nach dem Abitur stand für mich fest, dass ich mehr über die Natur und Technik erfahren wollte. Die Möglichkeit das zu kombinieren, fand ich im Studium als Luft- und Raumfahrttechnikerin. Nach dem Studium war für mich auch klar, dass ich das weiterverfolgen möchte und meinen Beitrag für die Natur und Umwelt leisten möchte. Daher suchte ich einen Arbeitgeber, der das vereinen kann und fing bei H2Fly als Entwicklungsingenieurin für nachhaltige emissionsfreie Antriebssysteme für die Luftfahrt an. Danach habe ich immer gesucht: etwas tun zu können, wofür ich wirklich brenne! Das ist ein tolles Gefühl!

 

In Ihrem Studium waren bei 350 Studierenden nur 12 Prozent Frauen. Wie war das Verhältnis zu den männlichen Kollegen? Hatten Sie je das Gefühl, sich stärker behaupten oder beweisen zu müssen als die männlichen Studierenden?

Am Anfang hatte ich tatsächlich das Gefühl unterlegen zu sein und das Bedürfnis mitzuhalten und mich auch zu behaupten. Das hat sich mit der Zeit aber geändert, denn mir ist aufgefallen, dass es auch einigen männlichen Kommilitonen genauso erging. Wir saßen alle im selben Boot und mussten ein schwieriges Ingenieurstudium meistern mit einem hohen Leistungsdruck. Daher wurde das Verhältnis sehr schnell kollegial. Ich hatte den Eindruck, dass meine Kommilitonen ihre Unterstützung gerne angeboten haben, wenn man mal ins Stolpern geraten ist. Denn es wollte niemand, dass man untergeht. Sicherlich gab es auch die Überflieger, die alles auf Anhieb verstanden, doch waren das nicht immer nur männliche Kommilitonen, sondern auch einige weibliche.

 

Wie ist es heute in Ihrem Job, sind Sie die einzige Frau in Ihrer Firma? Wie kamen Sie damit bisher im Arbeitsalltag zurecht? Haben Sie es schwerer oder leichter im Kollegenkreis aufgrund Ihres Geschlechts?

Nein, die einzige Frau bin ich nicht. Doch sind wir im Engineering-Bereich der Firma nur drei Frauen und speziell in meinem Team bin ich tatsächlich die einzige Frau. Wir haben in der Firma eine relativ junge Belegschaft und ein tolles Arbeitsklima. Ich fühle mich sehr wohl, und kann glücklicherweise sagen, dass ich nicht den Eindruck habe, wegen meines Geschlechts anders behandelt zu werden. Vor allem ist im Engineering wichtig, welche Lösungsansätze man hervorbringt. Gerade da habe ich den Eindruck häufiger zu Rate gezogen zu werden, da ich anders auf die Probleme schaue und anders an sie herangehe als meine männlichen Kollegen.

 

Was denken Sie, weshalb immer noch wenige Mädchen und Frauen beruflich in die MINT-Bereiche gehen?

Meiner Meinung nach hat das viel mit der Erziehung und den gesellschaftlichen Stereotypen zu tun. Ich bin mit zwei großen Brüdern aufgewachsen und war viel stärker am MINT-Bereich interessiert als meine Brüder. Meine Eltern erkannten das sehr früh und gaben sehr schnell auf, mich nach den „klassischen Stereotypen“ zu erziehen, sondern unterstützten mich in meinem Vorhaben. Zudem wurde mein Interesse für den MINT-Bereich von der Schule gefördert. Diese Rahmenbedingungen haben mich in meinen Interessen bestärkt und ich hatte nie die Sorge, dass Naturwissenschaften nichts für mich wären. Daher denke ich, dass ein richtiges Umfeld das Interesse für Mädchen/Frauen im MINT-Bereich deutlich verstärken würde und ein Bewusstsein dafür schaffen könnte.


Welchen Rat würden Sie jungen Mädchen und Frauen geben, die mit MINT-Fächern liebäugeln, aber aufgrund vieler gesellschaftlicher Stereotypen trotzdem unsicher sind, ob sie ein Studium oder eine Ausbildung im MINT-Bereich anpacken sollen?

Die Frage sollte hier auch sein, welchen Grund es gäbe, es nicht anzupacken? Oft sind es Ängste oder Bedenken, dass sie mit der Materie nicht zurechtkommen würden. Ich habe erst letztens eine junge Frau kennen gelernt, die mir von ihrer Begeisterung für die Kleinfliegerei erzählt hat. Als ich sie fragte, warum sie denn nicht direkt mit der Fluglizenz anfangen möchte, sagte sie mir ehrlich: „Da sind doch nur Männer!“ Für den Moment war ich schockiert, da ich selbst im Besitz einer Fluglizenz bin und das Geschlechterverhältnis für mich kein Hindernis darstellte. Viele Frauen fühlen sich dadurch aber unwohl oder unter Druck gesetzt. Daher kann ich allen nur raten mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein in den MINT-Bereich einzusteigen. Denn es gibt niemanden, der einen davon ausschließen will und egal, wie schwierig einem die Materie am Anfang erscheint, es ist alles erlernbar und viel spannender als man ahnt. Habt den Mut, glaubt an euch selbst und lasst euch nicht abschrecken!

 

Vielen Dank, liebe Frau Osso!

Hintergrund

MINT steht zusammenfassend für die Fachbereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Lesen Sie mehr dazu auch unter: