Liebe Leser:innen,
in unregelmäßigen Abständen veröffentlichen wir in unserem Format „Mentoring Out Loud in Baden-Württemberg“ Erfolgsgeschichten, die aus unterschiedlichen Perspektiven vom Mentorinnen-Programm für Migrantinnen erzählen und Informationen zur Arbeit der Kontaktstellen geben.
Viel Spaß beim Lesen!
Inge Zimmermann
Leiterin Kontaktstelle Frau und Beruf Stuttgart
Hadeel Sabah Mahdi Al-Tameemi
Mentee
Anastasia Riedel
Mentorin
Enikö Szivos-Knecht
Personalreferentin Firma AEB SE, Stuttgart
Im vierten Jahr des Mentorinnen-Programms für Migrantinnen waren wir Kontaktstellen durch die Corona-Pandemie besonders gefordert. Wir mussten durch den Lockdown im März schnell umdenken und sehr flexibel agieren, um das Programm auf dem gleichen hohen Qualitätslevel wie in den Jahren zuvor erfolgreich weiterzuführen. Mentorinnen, Mentees und wir Beraterinnen in den Kontaktstellen Frau und Beruf haben zahlreiche Herausforderungen gemeistert, um das Programm nach dem Start von Präsenztreffen auf die digitale Durchführung umzustellen. Die begleitenden Workshops für unsere Mentorinnen und Mentees haben wir dann erfolgreich im Online-Formaten durchgeführt und auf diese Weise Begegnungen und regelmäßigen Austausch zwischen Mentorin und Mentee und den Kontaktstellen möglich gemacht.
Ich bin 2016 nach Deutschland gekommen, mit einem Bachelor in Biowissenschaften in der Tasche. Das hatte ich im Irak studiert und dort auch im Labor gearbeitet. Dafür fehlt mir allerdings ein Nachweis. Also war mir schnell klar, dass ich hier erstmal eine Ausbildung machen muss.
Ich habe dann versucht, ein Praktikum oder eine Ausbildungsstelle zu bekommen, aber das hat nicht geklappt. Ich hatte mein Studium ja komplett auf Englisch und Arabisch absolviert, in Deutschland läuft natürlich alles auf Deutsch. Als mir eine Bekannte vom Mentorinnen-Programm für Migrantinnen erzählte, habe ich mich sofort beworben!
Ich habe im Intranet meiner Firma vom Mentorinnen-Programm für Migrantinnen gelesen und mich daran erinnert, wie es mir selbst ergangen ist, als ich vor 19 Jahren aus Russland zum Studium kam: Ich hätte mir so ein Programm gewünscht. Ich hatte zwar an der Uni Kontakte, aber da ist es natürlich Glückssache, wen man kennenlernt und ob die Person einem etwas erklären kann oder möchte. Außerdem kann man selbst ja gar nicht die richtigen Fragen stellen, weil man sich nicht auskennt und bekommt deshalb leider auch keine Informationen über genau die Dinge, die man wissen sollte. Wenn mir damals jemand etwas erklärt hat, konnte ich nicht einschätzen, ob die Auskunft vertrauenswürdig war. Deshalb ist das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen ein tolles Auffangnetz – hier können alle Teilnehmerinnen sicher sein, dass sie seriöse Antworten auf Ihre Fragen kriegen und bekommen jede Menge wichtige Informationen.
Wir haben das Programm in unserem Unternehmen mit offenen Armen empfangen. Wegen der Corona-Pandemie konnten wir den Unternehmensbesuch in diesem Jahr aber leider nur einem Dutzend Interessierten anbieten: Nach einer Präsentation, in der die Themen New Work, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Frauen in Führungspositionen im Unternehmenskontext beleuchtet wurden, haben wir einen Rundgang durch die Räumlichkeiten durchgeführt. Dabei konnten die Teilnehmerinnen Eindrücke sammeln, wie räumliche Gegebenheiten die Arbeit und die Zusammenarbeit in einem IT-Unternehmen unterstützen. Anschließend haben sich die Teilnehmerinnen in einer gemütlichen Runde ausgetauscht. Wir finden, wer die Möglichkeit hat, etwas zu teilen – wie Einblicke in den Arbeitsalltag – sollte das auch tun, denn es inspiriert ungemein!
In unserem Unternehmen arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 31 Nationen. Darauf sind wir stolz und wir bemühen uns, diese Vielfalt zu erhalten – denn wir wachsen daran. Deshalb passt es für uns gut, uns im Mentorinnen-Programm zu engagieren. Und für mich persönlich passt es ebenfalls. Als gebürtige Ungarin bin ich mit 28 Jahren nach Deutschland gekommen. Ich hatte zwar schon eine Woche nach meiner Ankunft in Deutschland eine Stelle, aber trotzdem musste ich mich in vielerlei Hinsicht durchbeißen und mir politische und kulturelle Zusammenhänge – also quasi eine Art Landeskunde – erarbeiten. Eine besondere Herausforderung bedeutete es für mich, das Schwäbische zu verstehen. Witzig, aber sehr hilfreich fand ich damals die SWR 3-Sendung „Schwäbisch lernen mit Frau Hortenbach“, in der schwäbische Begriffe wie „Epflbutza“, „wollet“ oder „Hocketse“ erklärt wurden.
Wie lief das Programm in diesem besonderen Jahr?
Die Kontaktstelle Stuttgart konnte das erste Treffen, das Matching zwischen den Mentorinnen und Mentees, noch als Präsenzveranstaltung durchführen. Danach wurde das Programm dann online durchgeführt. Für Hadeel Sabah Mahdi Al-Tameemi und ihre Mentorin Anastasia Riedel war das nicht schwierig, denn Anastasia Riedel arbeitet als Senior Project Managerin im IT-Bereich und ihre 31-jährige Mentee ist technisch sehr affin. Deshalb kommunizierten die beiden per Messenger-Dienst, Email und Facetime.
„Ein Pluspunkt war auch, dass Hadeel von Anfang an genau wusste, was sie wollte“, erzählt die Mentorin. „Ich habe zunächst noch abgewartet, ob es wirklich eine Ausbildung sein soll, doch sie blieb bei ihrem ‚Ja!‘. Also haben wir uns schnell daran gemacht, ihre Bewerbungsunterlagen zusammenzustellen und Hadeel war schon Ende April damit fertig.“
Das kam Anastasia Riedel zugute, denn die 42-jährige musste während des Lockdowns Homeoffice sowie die Betreuung und Beschulung ihrer Kinder unter einen Hut bekommen. „Unser größtes Problem war, Zeit zu finden.“ Die hat das Tandem dann intensiv genutzt und Anschreiben, Bewerbung und Lebenslauf erstellt. „Anastasia hat dann auch Vorstellungsgespräche mit mir geübt“, berichtet Hadeel Sabah Mahdi Al-Tameemi. „Wir haben besprochen, was ich sagen soll und was nicht – im Irak ist das schon sehr anders…Sie hat mir auch bei bürokratischen Dingen geholfen.“
Und nicht zuletzt unterstützte Anastasia Riedel ihre Mentee darin, sich die eigenen Stärken bewusst zu machen und diese auch herauszustellen: „Hadeel kann beispielsweise sehr gut Englisch und sollte damit auch punkten.“
„Anastasia hat mir immer wieder Mut gemacht, nachzufragen, was aus meiner Bewerbung geworden ist, das hätte ich mich allein nicht getraut“, berichtet Hadeel.
Im Oktober 2020 konnte Hadeel Sabah Mahdi Al-Tameemi ihre Ausbildung zur Medizinisch-Technischen-Assistentin beginnen. „Anastasia ist weiterhin für mich ansprechbar, wenn ich Fragen habe, wir bleiben in Kontakt! Das freut mich sehr und gibt mir Sicherheit!“
Mentoring in Krisenzeiten
„Das Sich-nicht-persönlich-begegnen-Können hat Mentorinnen und Mentees anders gefordert als sonst“, resümiert Kontaktstellenleiterin Inge Zimmermann. „Vor allem die, die erst lernen mussten, mit der digitalen Technik umzugehen. Ebenso die, die ihre Kinder Zuhause betreut und beschult haben. Und auch die, die mit Belastungen in ihrem Umfeld umgehen mussten: einem Familienmitglied im Heim oder Krankenhaus, einem Ehemann in Kurzarbeit oder, oder, oder…Viele der Teilnehmerinnen haben von den digitalen Angeboten profitiert und einiges dazugelernt.“
Die Mentees kamen in diesem Jahr aus 31 Ländern, z. B. aus Polen, China, Rumänien, Syrien, der Türkei und Indien. Ein Großteil von ihnen ist hoch gebildet, rund 85 Prozent sind Akademikerinnen.
62 Frauen haben im Frühjahr das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen mit den Wünschen begonnen, ihren Fachwortschatz und ihre Kompetenzen zu erweitern, den Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg besser zu verstehen, ihre Bewerbungen zu optimieren, Tipps zum Netzwerken und zum Umgang mit Kolleginnen und Kollegen zu erhalten und vieles mehr.
Als Vorteil der Pandemiezeit verbuchen alle Beteiligten, dass sie sich – vor allem im ländlichen Raum – lange Anfahrtswege sparen konnten. Auf der anderen Seite war es den Mentorinnen nur sehr eingeschränkt möglich, ihre Mentees zu Netzwerktreffen oder Schnuppertagen im eigenen Unternehmen mitzunehmen.
„Die Pandemie verändert den Arbeitsmarkt, er ist zwischenzeitlich nicht mehr so aufnahmefähig“, bedauert Inge Zimmermann. „Den Mentees wurden aufgrund der Coronapandemie weniger Praktikumsplätze angeboten, Bewerbungsprozesse waren erschwert. In dieser unübersichtlichen Zeit hat das Programm den Beteiligten Sicherheit gegeben, Kompetenzen vermittelt und immer wieder Mut gemacht! Dass am Ende alle Teilnehmerinnen das Programm erfolgreich abschließen konnten, ist eine große Leistung, die zeigt, dass wir auch mit Abstand zusammenhalten!“
Warum ist es für Unternehmen interessant, das Programm zu unterstützen?
„Wir stellen viele unserer Angebote langfristig um, sind aber sehr froh, dass wir in der zweiten Jahreshälfte beispielsweise wieder Firmenbesuche in Präsenz anbieten konnten“, betont die Leiterin der Kontaktstelle. „Das sind wichtige Termine für unsere Teilnehmerinnen und es ist wünschenswert, dass Unternehmen sie auch in Krisenzeiten ermöglichen.“
Denn vom Mentorinnen-Programm für Migrantinnen profitieren auch die Unternehmen, deren Innovationsprozesse häufig durch den Fachkräftemangel ausgebremst werden.
Durch die Beteiligung am Mentorinnen-Programm für Migrantinnen kann ein Unternehmen in vielerlei Hinsicht profitieren, betont Personalreferentin Enikö Szivos-Knecht.
„Vielleicht findet man eine neue Mitarbeiterin, die das Unternehmen durch ihre Berufserfahrung im Ausland oder durch ihr besonderes Können voranbringen kann. Die Teilnehmerinnen berichten von den Besuchen ja auch in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis. Oder sie selbst erinnern sich in fünf Jahren an ihren Besuch bei uns und bewerben sich dann…wer weiß. Falls nichts von alldem eintrifft, hat das Unternehmen trotzdem gesellschaftliche Verantwortung übernommen. Auch das ist wichtig!“
Das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen
Das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen startete 2017 und wird von der unabhängigen Forschungs- und Beratungsorganisation EAF Berlin evaluiert. Die Ergebnisse belegen, dass das Programm die Teilnehmerinnen erfolgreich beim Einstieg in den Arbeitsmarkt unterstützt.
Der Mentoringprozess ist auf sechs bis acht Monate angelegt.
Im Rahmen des Mentoring unterstützt eine beruflich erfahrene Mentorin ihre Mentee mit ihrem Wissen und ihren Kontakten bei der Berufswegplanung und dem Aufbau eigener Netzwerke. Die Mentorin gibt wertvolle Tipps, vermittelt Kontakte und Einblicke in die deutsche Berufswelt.
Koordiniert wird das Mentorinnen-Programm von der Service- und Koordinierungsstelle des Landesprogramms der Kontaktstellen Frau und Beruf.
Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg fördert es mit rund 100.000 Euro.
Das Landesprogramm Kontaktstellen Frau und Beruf berät seit 1994 Frauen in allen beruflichen Belangen. Die landesweit elf Kontaktstellen haben sich als Anlaufstellen etabliert, ihre Angebote sind niederschwellig und regional. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Integration von Frauen ins Erwerbsleben.
Links und weiterführende Informationen: