Karriere ausgebremst: Warum der Thomas nicht Sabine befördert

Geleichstellung: Wenige Frauen und viele Männer an der Spitze der deutschen Unternehmen.

Die Zahl der "Thomasse" (grau) überragt die der "Sabinen" (orange) in den Vorständen der deutschen Unternehmen um ein Vielfaches.

„Wenn der Chef immer Thomas heißt - Wie wir mehr Frauen in Führungspositionen bekommen“

Männer fördern - und befördern - Männer. So simpel beschreibt Wiebke Ankersen, warum in Deutschland immer noch weniger als 50 Prozent Frauen in den oberen Etagen der Unternehmen vertreten sind, obwohl beispielsweise mehr Frauen als Männer ihr Studium im Fach BWL abschließen. Sie klingt dabei nicht vorwurfsvoll, sondern stellt lediglich den Status Quo fest, dem ihrer Meinung nach ein zutiefst menschliches Prinzip zugrunde liegt: Man(n) fördert, was er kennt, was ihm ähnlich ist. In ihrem sehr gut besuchten Online-Vortrag beim Digital Lunch der Spitzenfrauen erklärt die Skandinavistin faktenreich und unterhaltsam, was in deutschen Unternehmen schiefläuft und warum Gleichstellung immer noch ein virulentes Thema ist.

"Frauen befördern, nicht fördern!"

Wiebke Ankersen

Nur 14 Prozent Frauen an der Spitze von Börsenunternehmen

Die Studien der AllBright Stiftung, deren Geschäftsführerin Ankersen ist, haben im Jahr 2022 gezeigt: In den 160 börsennotierten Unternehmen in Deutschland sind 599 Männer (86 Prozent) und 99 Frauen (14 Prozent) in den Vorständen tätig. Wenn man die Unternehmen nach der Anzahl der Frauen an der Spitze sortiert, wird es noch trauriger: 81 Unternehmen haben keine einzige Frau an der Spitze und nur 9 Unternehmen haben mindestens 40 Prozent Frauen in der Geschäftsführung. Beim Rest (70 Unternehmen) ist in der Regel eine Frau in Vorstand oder Geschäftsführung vertreten.

 

Familienunternehmen: Gleichstellung schwach

Noch deutlicher ist das Ungleichgewicht bei den Familienunternehmen: Bei den 100 größten Familienunternehmen der Größenkategorie Bosch, Bertelsmann oder Aldi sind nur 8 Prozent der Geschäftsführenden Frauen. Und hier tut sich kaum etwas. Ankersen bezeichnet ein Wachstum von einem Prozent in zwei Jahren als Stillstand. Warum das so ist? „Den Patriarchen redet keiner rein", schließt Ankersen. Wenn sie nicht erkennen, dass es notwendig ist, ihre Geschäftsführungen diverser aufzustellen, gäbe es in den Familienunternehmen kaum ein Korrektiv.

"Sind also wirklich die Besten an der Spitze? Sind Talent und Qualifikation wirklich so verteilt zwischen Männern und Frauen?" Natürlich handelt es sich hierbei nur um rhetorische Fragen, wie Ankersen zugibt. Und: "Das ist der Moment, in dem wir Thomas kennenlernen."

 

Das Thomasprinzip

Bis vor kurzem gab es mehr Männer in den Vorständen, die Thomas und Michael hießen, als Frauen insgesamt (übrigens kommt der Name Sabine, der häufigste Frauenname in deutschen Vorständen, nur dreimal vor). Die Thomasse und Michaels in den Vorstandsetagen ähneln sich sehr: Sie wurden im Durchschnitt im Jahr 1968 geboren, 64 Prozent von ihnen wurden in Westdeutschland ausgebildet, 34 Prozent im Ausland. Auch Ostdeutsche sind kaum vertreten: Etwa 2 Prozent stammen aus dem Gebiet der ehemaligen DDR. Migranten oder gar Migrantinnen? Fehlanzeige.

Die Thomasse befördern gerne Personen, die ihnen ähnlich sind, und das sind eben nicht die Frauen. Der Thomas befördert gerne den Thomas, weil er ihn zu kennen glaubt und ihm am ehesten zutraut, was er selber kann. Immer aus demselben Teich zu fischen, beschränke jedoch den Erfahrungshorizont und verhindert Innovationen, was beides nicht im Interesse der Unternehmen liege, so Ankersen. Zudem erwarte die jüngere Generation mehr Diversität. Frauen an der Spitze gelten nicht zuletzt als Indikator für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen.

 

"Es gibt nicht genügend qualifizierte Frauen"

Dass es nicht genügend qualifizierte Frauen für die Spitze gebe, hält Ankersen für vorgeschoben und verweist auf die gesetzliche Quote für Aufsichtsmandate: Erst als die Unternehmen rechtlich gezwungen wurden, Frauen in Aufsichtsräte zu berufen, lernten sie, qualifizierte Frauen zu finden.

Wenn die Gleichstellung weiterhin so schleichend voranschreite, wird es noch 26 Jahre dauern, bis alle Positionen gleichberechtigt besetzt sind, rechnet die AllBright-Chefin vor.

 

Stereotype behindern die Gleichstellung

Ankersen zeigt anhand eines eingängigen Experiments, wie Stereotype menschliches Verhalten beeinflussen: Die fiktiven Personen Hans und Hanna haben genau den gleichen Lebenslauf, der sie als ehrgeizigen Ingenieur bzw. ehrgeizige Ingenieurin ausweist. Ihre Vitae werden einem Publikum präsentiert. Nach ihrem Eindruck gefragt, hielten 73 Prozent der Probanden Hans für eine gute Führungskraft und die Mehrheit konnte sich vorstellen, mit ihm ein Bier zu trinken. Hanna hingegen wird als zu "bossy" und weniger sympathisch wahrgenommen.

Wie tief die Stereotypen sitzen, aber auch wie sie vermieden werden können, erläutert Ankersen am Beispiel des Boston Symphony Orchestra aus dem Jahr 2015. Um nur die Qualifikation beim Auswahlprozess zu bewerten, mussten die Bewerbenden hinter einem Vorhang auftreten. Schon das führte zu einem Anstieg des Anteils ausgewählter Frauen. Der Durchbruch kam jedoch dann, als Männer und Frauen hinter dem Vorhang keine Schuhe tragen sollten, um durch ihre Schritte ihr Geschlecht nicht zu verraten. "Man muss objektivierende Strukturen schaffen, die das Bauchgefühl überlisten", folgert Ankersen.

 

Deutschland bei der Gleichstellung weit abgeschlagen

In einem internationalen Ranking verschiedener Industrieländer bezüglich Frauen in Spitzenpositionen belegt Deutschland den vorletzten Platz vor Polen. Überraschenderweise sind die USA bei der Durchlässigkeit nach oben an der Topposition. Obwohl in den USA (Platz 1) insgesamt weniger Frauen arbeiten, tun sie dies meist in Vollzeit, was ihrer Karriere zugutekommt. In Schweden (Platz 2) wurde bereits in den 1970er-Jahren das Ehegattensplitting abgeschafft und die Kinderbetreuung verbessert, so dass Männer und Frauen gleichberechtigt arbeiten. Eine 40-Stunden-Woche gilt hier auch für Führungskräfte als normal, um noch Zeit für die Familien zu haben.

 

Frauen befördern!

Laut Ankersen muss in Deutschland Folgendes geschehen, um Diversität an der Spitze der Unternehmen zu befördern:

  • Vielfalt muss Chefsache werden, denn nur ein überzeugter CEO kann den Wandel einleiten.
  • Es muss ein Kulturwandel in den Unternehmen hinsichtlich Diversität, Digitalisierung, Innovationsfreudigkeit und Fehlertoleranz stattfinden.
  • Die Unternehmen müssen messbare Ziele für die Gleichstellung festlegen und kontinuierlich überprüfen. Diese Ziele sollten auch bonusrelevant sein.
  • Role Models sollen als Leuchtturmfrauen dienen, aber es reicht nicht aus, nur eine Frau als Alibi für Gleichstellung an der Spitze zu haben.
  • Auch Spitzen-Männer müssen Role Models als engagierte Väter sein.

In Deutschland liege der Fokus immer noch zu sehr darauf, Frauen zu fördern. Die Männer seien jedoch die Schlüsselfiguren für den Wandel, da sie noch immer die Macht haben. Ankersen beendet ihren Vortrag mit einem simplen Aufruf: "Frauen befördern, nicht fördern!"

 

Hintergrund

 

Die AllBright Stiftung ist eine gemeinnützige Organisation mit Niederlassungen in Stockholm und Berlin, die sich aktiv für eine höhere Präsenz von Frauen und mehr Vielfalt in Führungspositionen der Wirtschaft einsetzt. Ihr Hauptziel besteht darin, gleiche Karrierechancen für Männer und Frauen zu schaffen und die Leistungsfähigkeit von Unternehmen durch diverse und zeitgemäße Führungsteams zu steigern. Die Stiftung wurde vom schwedischen Unternehmer Sven Hagström ins Leben gerufen, der sich selbst als Feminist bezeichnet. Der Namen der Stiftung bezieht sich auf die „hellsten (brightest) Köpfe“, hat aber auch einen Bezug zu Madeleine Albright, der ersten weiblichen Außenministerin der Vereinigten Staaten, die der Stiftungsgründer sehr schätzte.

Seit 2016 leitet Wiebke Ankersen gemeinsam mit Christian Berg die Geschicke der AllBright Stiftung in Deutschland. Als Skandinavistin verfügt sie über fast zwanzig Jahre Erfahrung in der Arbeit für schwedische Organisationen in Deutschland, zuletzt als Presseattachée an der Schwedischen Botschaft in Berlin.

Das Ziel der Digital Business Lunches der www.spitzenfrauen-bw.de ist es, verschiedene Aspekte des Themas Frau und Karriere während der Mittagspause kurz zu behandeln und so dieses Thema voranzubringen. Die Zielgruppe besteht aus Spitzenfrauen, weiblichen Führungskräften und Personalverantwortlichen und der Community der Spitzenfrauen.