Die Sprache zu können, ist nicht alles
Shqipe Sejdiu war 35 Jahre alt, als sie nach Deutschland zurückkehrte - fast zwei Jahrzehnte hatte sie im Kosovo gelebt. Denn ihre Familie verließ Deutschland 2001, nach Ende des Kosovo-Krieges. Nun zog Shqipe Sejdiu mit Mann und eigenen Kindern zurück.
Im Kosovo hatte sie Germanistik und Deutsch als Fremdsprache studiert und 15 Jahre lang in der deutschen Botschaft gearbeitet. Immer wieder hatte die 39-Jährige an Schulungen beim Auswärtigen Amt in Berlin teilgenommen.
Auch wenn sie dadurch eng mit der deutschen Kultur verbunden war, stellte sich ihre Rückkehr nach Deutschland als große Herausforderung dar. „Alle sagten immer zu mir: Na ja, du hast es ja auch viel einfacher, denn du kannst die deutsche Sprache schon. Aber nicht nur die Sprache ist ein Hindernis, ich kannte die Arbeitsstrukturen hier überhaupt nicht – als ich in den Kosovo zurückgegangen bin, war ich ja noch jung. Selbst das Schulsystem dort ist anders…“
Doch trotz dieser Schwierigkeiten und Unsicherheiten schwor sich die Mutter von zwei Kindern, ihre beruflichen Träume zu verwirklichen.
Deutschland ist so groß
„Kosovo ist ein kleines Land, und hier war alles so viel, so groß. Hier ist das ‚Buffet‘ an allen möglichen Berufen, die es in meiner kleinen Heimat nicht gibt, so riesig… Wo kann ich arbeiten? Wie kann ich einen Job suchen? Wie werden die Fähigkeiten genannt, die ich beherrsche?“, diese Fragen beschäftigten Shqipe Sejdiu intensiv.
Die erste Zeit in Deutschland nutzte sie, um sich zu orientieren und arbeitete ehrenamtlich als Sprachmittlerin in Heilbronn, um anderen Familien mit Migrationshintergrund beim Ankommen zu helfen. Diese Arbeit brachte sie schließlich auch in Kontakt mit der ‚Kontaktstelle Frau und Beruf Heilbronn-Franken‘.
Die Kontaktstelle eröffnete mir eine neue Welt
Die Beratung bei der Kontaktstelle Frau und Beruf war ein Wendepunkt für Shqipe Sejdiu.
Dadurch hat sich mir eine neue Welt eröffnet.
Die Beraterin dort half ihr nicht nur, die richtigen Begriffe für ihre Qualifikationen und Fähigkeiten zu finden, sondern zeigte ihr auch auf, welche Berufe und Tätigkeiten es gibt, die ihrem Profil entsprechen. Darüber hinaus unterstützte sie Shqipe Sejdiu dabei, ihre Qualifikationen gezielt zu präsentieren.
„Ich habe zahlreiche Kontakte zu Frauen mit Migrationshintergrund, die aus ihrer Heimat mit Diplomen, Ausbildungen und hohen Qualifikationen kommen. Aber sie trauen sich nicht zu, das hier wieder erreichen zu können, weil sie sich selbst nicht so wertvoll fühlen und das alles blockiert sie. Es ist eine Herausforderung, der man sich nicht so gerne stellt, deswegen nehmen viele den erstbesten Job, weil sie denken: ‚Da komme ich noch durch‘. Sich in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren, erfordert viel Persönlichkeitsentwicklung. Ich habe mich immer wieder herausgefordert und ich war auch bereit, zu lernen.“
Doch das funktioniert natürlich nur, wenn die „andere Seite“ dasselbe tut. Shqipe Sejdius Anliegen:
Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber hier sollten den Menschen mit Migrationshintergrund eine Möglichkeit geben, sich in der Arbeit zu zeigen. Einfach mal ausprobieren…Es sind ja beide Seiten dafür notwendig. Ohne die Unterstützung von Andreas Schumm wäre ich in meinen neuen Job auch nicht hineingewachsen.
Eine neue Stelle
Zum Ende des Jahres 2022 ergab sich für Shqipe Sejdiu die Gelegenheit, sich auf eine Stellenausschreibung bei der Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken GmbH (WHF) zu bewerben. Darauf war sie durch den Newsletter der Kontaktstelle Frau und Beruf Heilbronn-Franken aufmerksam geworden.
„Da dachte ich mir, wow, das wäre was! Denn ich hatte mir schon die Frage gestellt, wie ich auch bei so einer Einrichtung arbeiten könnte.“
Die Aussicht, in einer Institution beschäftigt zu sein, die sich für die wirtschaftliche Entwicklung der Region einsetzt, reizte sie. Doch das klappte nicht auf Anhieb, eine andere Bewerberin bekam den Zuschlag.
Aber Shqipe Sejdiu war dem Geschäftsführer der WHF im Gedächtnis geblieben. Und als Dr. Andreas Schumm einige Wochen später entschied, eine neue Position innerhalb seiner Organisation zu schaffen, dachte er sofort an die 39-Jährige. Denn auch wenn sie die erste Stelle nicht bekommen hatte, war der Geschäftsführer von ihrem Potenzial überzeugt.
„Ich wollte mit ihr nochmal reden“, erinnert er sich. „Es war wichtig, dass sie die Enttäuschung über das nicht erhaltene Angebot versteht, aber auch sieht, dass ich ihre Fähigkeiten anerkenne.“
Andreas Schumm hatte die WHF über elf Jahre lang ohne Assistenz geführt, doch mit dem Wachstum des Unternehmens wurde es immer schwieriger, den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Der 50-Jährige erkannte, dass er Unterstützung brauchte und zwar von jemandem, der nicht nur fachlich kompetent war, sondern auch menschlich gut in das Team passen würde.
Ich wollte jemanden, die oder der die Fähigkeit hat, sich schnell in neue Situationen einzufinden und gleichzeitig die Energie und das Engagement mitbringt, die neue Position mitzugestalten.
Die Herausforderung der Integration aus Unternehmenssicht
Der Integrationsprozess von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Migrationshintergrund ist für viele Unternehmen eine Herausforderung. Doch Andreas Schumm sah ihn stets als Chance, denn ein entscheidender Faktor für den Erfolg ist seiner Einschätzung nach die Lernbereitschaft.
„Ich habe eine große Lernbereitschaft festgestellt, und das nicht nur in Bezug auf die Sprache, sondern auch auf kulturelle Anpassungen und das Verständnis der Arbeitskultur,“ berichtet er. Gleichzeitig fordert er auch von seiner bestehenden Belegschaft die Offenheit, Neues zu lernen und andere Perspektiven zu integrieren.
Ich bin davon überzeugt, dass wir jeden Kopf brauchen, um den Fachkräftebedarf zu decken, und wenn die Qualifikationen und die Bereitschaft da sind, ist das Geschlecht, die Herkunft oder die Sprache zweitrangig.
Trotz der überwiegend positiven Erfahrungen gab es in den letzten zwölf Jahren auch Herausforderungen. Andreas Schumm erinnert sich an Situationen, in denen kulturelle Unterschiede zu Missverständnissen führten. Einmal musste er einem Ehemann, der seine Frau regelmäßig zur Arbeit brachte, deutlich machen, dass der Arbeitsvertrag zwischen ihm und der Mitarbeiterin bestand, nicht zwischen ihm und dem Ehemann. „Es war ein schmaler Grat,“ gibt er zu, „das Private geht mich im Regelfall nichts an. Aber wenn ich merke, dass die Leistung unter dem privaten Aspekt leidet, dann habe ich durchaus wieder eine Verantwortung und versuche dann auch, meine Fürsorgepflicht für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend einzusetzen.
Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, als Führungskraft nicht nur fachliche, sondern auch soziale Verantwortung zu übernehmen. Ich habe immer versucht, intuitiv und mit gesundem Menschenverstand zu handeln,“ resümiert er.
Eine Erfolgsgeschichte für die Zukunft
Heute, nach anderthalb Jahren, ist Dr. Schumm stolz auf die Entscheidung, Shqipe Sejdiu eingestellt zu haben. Sie hat sich nicht nur als wertvolle Unterstützung in seiner Arbeit bewiesen, sondern auch als integraler Bestandteil des Teams.
Ihre Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie Offenheit und der Mut, neue Wege zu gehen, sowohl dem Unternehmen als auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugutekommen.
Vielfalt wird nicht nur in der WHF gelebt, sondern auch in die Organisation hinein kommuniziert, wodurch ein Arbeitsumfeld geschaffen wurde, das Diversität nicht bloß akzeptiert, sondern aktiv fördert.
Das passiert aber nicht von heute auf morgen. Deshalb rät der Geschäftsführer allen Unternehmen, die damit noch keine Erfahrungen haben, sich eine Einrichtung wie die Kontaktstelle Frau und Beruf als Unterstützung zu suchen.
Das ist so hilfreich, weil es dort – also ich mache jetzt einen Werbeblock – die Erfahrungen aus unterschiedlichen Unternehmen gibt und die Beraterinnen sinnvolle Ansatzpunkte erklären und den Prozess begleiten können.
Kontaktstelle Heilbronn-Franken, August 2024
Informationen zur Kontaktstelle Frau und Beruf Heilbronn-Franken und ihren Angeboten finden Sie unter:
https://www.frauundberuf-bw.de/kontaktstelle-frau-und-beruf-heilbronn-franken
Mehr über die Kontaktstellen Frau und Beruf in Baden-Württemberg finden Sie hier:
Shqipe Sejdiu (l.) und Dr. Andreas Schumm (r.)
(Foto: WHF GmbH Nicole Hafner Fotografie)