„Ich habe an jedem Tag meines Lebens gearbeitet und wollte hier in Deutschland sofort damit weitermachen“, erinnert sich Yulia Chepras. Vor drei Jahren kam sie aus der Ukraine, wo sie als Bauingenieurin gearbeitet hat. „Hier habe ich erstmal alles darangesetzt, Deutsch zu lernen. Nach meinen B1 und B2 Kursen wollte ich mich sofort bewerben, aber ich wusste nicht wie!"
Die Corona-Pandemie hat die Jobsuche zusätzlich erschwert. Eine Freundin machte Yulia Chepras auf die Kontaktstelle Frau und Beruf Heilbronn-Franken aufmerksam:
„Sie sagte: Geh dorthin, da kannst du deine Fragen stellen. So kam ich in die Beratung von Frau Rieß, die mir gezielte Tipps gab und mich sehr gut unterstützt hat. Außerdem empfahl sie mir einen Kurs, der wirklich hilfreich für mich war. Dafür bin ich immer noch dankbar! Nach diesem Kurs für Ingenieure habe ich noch an einer Schulung zum Thema Kostenermittlung teilgenommen. Diese Kurse waren beide online, das war sprachlich ziemlich schwierig für mich“, resümiert die 40-Jährige.
Danach fragte die Leiterin der Kontaktstelle Yulia Chepras, ob sie als Mentee am Mentorinnen-Programm für Migrantinnen teilnehmen möchte.
Ich war sehr unsicher, ob ich das tun soll und habe mich erst am allerletzten Tag entschieden und angemeldet
„Ich dachte, dass es bei mir nicht >so schlecht< geht, dass ich um Hilfe bitten kann. Ich wollte auch auf keinen Fall einer Frau die Stelle im Programm >wegnehmen<, die diese vielleicht noch dringender bräuchte. Deshalb war ich durcheinander und habe schließlich ein Bild mit Acrylfarben gemalt, um mich zu sortieren. Das hilft mir in solchen Situationen oft. So konnte ich meine Gedanken klären und habe mich letztendlich zum Programm angemeldet.
Später erkannte ich, dass das die richtige Entscheidung war: Ein Kopf ist gut und zwei sind besser. Deshalb möchte ich allen Frauen raten, dass sie sich nicht schämen, um Hilfe zu bitten!"
Als das Mentorinnen-Programm dann startete, „matchte“ die Kontaktstelle Yulia Chepras mit Virginia Müller als Mentorin zu einem Tandem.
„Wir hatten von Anfang an viel Spaß miteinander und sind komplett auf einer Wellenlänge“, erinnert sich Virginia Müller. „Wir sind beide sehr zielstrebig und positiv gestimmt. Yulia ist immer freundlich. Ihre erste Frage an mich war: Was muss ich tun, um schnell eine Arbeit zu finden? Das war ihr oberstes Ziel.“
Drei untergeordnete Ziele hat das Tandem dann ebenfalls definiert: 1.Yulia muss und möchte ihre Sprachkenntnisse verbessern, 2. Sie wird eine Bewerbung erstellen und 3. Mentorin und Mentee trainieren Vorstellungsgespräche.
„Das Üben der Vorstellungsgespräche war sehr hilfreich für mich“, ergänzt Yulia Chepras.
„Als Virginia mich beispielsweise aufforderte, meine Person zu beschreiben, bin ich aus allen Wolken gefallen. So eine Frage würde niemand in der Ukraine in einem Bewerbungsgespräch stellen. Da wird nicht über Persönliches gesprochen.“
Da musste sich die Mutter einer 15-jährigen Tochter erst umstellen. „Wir sind aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen. Wir möchten, dass unsere Tochter in besseren Verhältnissen aufwächst. Mein Mann ist auch Bauingenieur“, erzählt sie.
In den ersten drei Monaten verschickte sie mehr als 20 Bewerbungen – und wurde zu drei Vorstellungsgesprächen eingeladen. Die fanden online statt, was für Yulia Chepras sprachlich schwierig war. Tatsächlich bekam sie auch keine der Stellen. „Mein Wunsch war und ist immer noch, mein Deutsch zu verbessern. Ich habe eher ein mathematisches Denkvermögen, Sprachen zu lernen fällt mir nicht so leicht!“
„Als ich dann im vergangenen August in die Ukraine in Urlaub gefahren bin, habe ich auf dem Weg dorthin noch schnell eine Bewerbung abgeschickt. Nach drei Tagen erhielt ich einen Anruf und wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das war mein erster persönlicher Vorstellungstermin. Seit September arbeite ich nun in diesem Unternehmen, in der Bauberechnung“, berichtet Yulia Chepras begeistert. „Es ist sehr wichtig für mich, mich nützlich zu fühlen! Die drei Jahre ohne Arbeit waren sehr, sehr schwierig für mich. Virginia und das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen haben mich sehr unterstützt. Ich beschreibe das mal mit einem Bild: wenn ich an einer Kreuzung stehe und nicht weiß, ob ich als Nächstes nach links oder nach rechts gehen soll oder geradeaus, dann unterstützt mich Virginia, die richtige Richtung zu finden!“.
Ihre Mentorin hätte gerne selber so ein Programm gehabt, als sie vor 30 Jahren aus den USA nach Deutschland kam. Deswegen entschied sich die kaufmännische Angestellte – genau wie Yulia Chepras in allerletzter Minute – als Mentorin teilzunehmen.
„Vorher hatte ich Zweifel – zwar wollte ich etwas Soziales tun, ich wollte helfen, aber ich habe mich auch gefragt: Was ist, wenn ich meiner Mentee nichts beibringen kann? Was ist, wenn meine Mentee mir unsympathisch ist? Für mich ist sehr wichtig, dass Yulia so motiviert ist und auch ehrgeizig. Außerdem waren die Veranstaltungen – wie die Kick-off Veranstaltung – und Angebote der Kontaktstelle für mich ein super Support. Die Kontaktstelle bietet da sehr viel an, wovon wir Mentorinnen profitieren.
Ich habe Yulia immer gefragt: Ist das okay so? Und dann habe ich ihr auch aus meiner eigenen Geschichte erzählt. Ich kann viele ihrer Erfahrungen nachvollziehen, weil ich ja auch aus dem Ausland gekommen bin“, zieht die 54-Jährige Bilanz. „Ich kam damals der Liebe wegen und habe auch zuallererst Deutsch gelernt. Aber: Man kann so viele Kurse machen, wie man will, vor allem hilft es, wenn man die Sprache in einem realen Umfeld üben kann.“
Mentorin und Mentee haben auch über persönliche Themen gesprochen und über ganz praktische Dinge: Wie läuft es hier in Deutschland mit dem Führerschein? Wie eröffne ich ein Bankkonto und ähnliches!
Viele Themen, die mich bei meiner Ankunft hier ebenfalls beschäftigt haben, wurden mir nochmal bewusst. Aus dem Mentoring habe ich auch einiges für mich selber mitgenommen. Beispielsweise ist es eine Bereicherung, zu erfahren, wie es anderen Menschen in anderen Ländern ergeht!
Mentee Yulia Chepras (links) und Mentorin Virginia Müller (rechts)