Starthilfe für Migrantinnen

Migrantinnen: Ukrainerin mit Pass am Gleis

Mehr als 50.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine haben seit ihrer Ankunft in Deutschland eine reguläre Arbeit gefunden, berichtet der Spiegel in einer Onlineausgabe vom 17. November und beruft sich dabei auf Zahlen der Arbeitsagentur. 

Angekommen in Deutschland, stehen die Frauen vor einem Berg von Aufgaben, die sie auf dem Weg in einen (festen) Job bewältigen müssen: Wo sollen sie wohnen? Wie werden sie finanziell unterstützt? Wer ist wofür zuständig im deutschen Behördendschungel? Dabei werden sie von einer Vielzahl von Institutionen betreut – neben den Erstaufnahmestellen, den Sozialämtern und Jobcentern zum Beispiel auch von den Welcome Centern in Baden-Württemberg, die sich um ausländische Fachkräfte bemühen, die in Deutschland dringend benötigt werden.

Bis die Vermittlung der Migrantinnen in eine dauerhafte Arbeitsstelle gelingt, sind viele Hürden zu nehmen, berichtet Verena Andrei, die Koordinatorin aller baden-württembergischen Welcome Center und Leitung des Welcome Center Stuttgart. Zu allererst ist eine Bleibe wichtig, dann geht es um finanzielle Hilfen, um Deutschkurse, um die Anerkennung von Abschlüssen bis hin zur Kinderbetreuung, die auch schon während der Sprachkurse notwendig ist. Bei einer Stadt wie zum Beispiel Stuttgart, die unter einem notorischen Mangel an Kita-Plätzen leidet, keine leichte Aufgabe.

Die Wohnungsnot macht es schwer

Allerdings ist die Frage nach der Unterbringung noch schwieriger dort: „In der Landeshauptstadt ist die Versorgung mit Privatraum die komplexeste,“ weiß Suzana Hofmann, die gemeinsam mit Andrei das Welcome Center leitet. Die Menschen sind in Hotels, Hostels, Hallen und Privatwohnungen untergebracht. „Eine Herausforderung sind aber auch Integrationskurse und die Berufssprachkurse mit begleitender Kinderbetreuung für Mütter mit Kleinkindern. „In Stuttgart gibt es zu wenig Anbieter in diesem Bereich, so dass der Bedarf nicht gedeckt wird“, bedauert Hofmann. 

Ein Jahr lang Deutsch lernen

Sprachkenntnisse sind meist entscheidend, um einen Job zu finden. Wer einen Sprachkurs ergattert, muss damit rechnen, mindestens ein Jahr lernen zu müssen, um ein Sprachniveau zu erreichen, das einen Job ermöglicht, erklärt Verena Andrei. Viele Frauen, die zu Kriegsbeginn geflohen sind, dürften also erst Anfang des kommenden Jahres dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Unter den geflüchteten Frauen sind Akademikerinnen, Erzieherinnen, Pflegekräfte, aber auch viele ohne eine Ausbildung, beobachtet Hofmann in Stuttgart. Aber nicht alle werden arbeiten können: Einige sind schwer traumatisiert und schaffen es nicht, während sie ihre Angehörigen im Krieg wissen, einem Job nachzugehen.

Ob die Frauen Jobs unter ihrer Qualifikation ausüben, darüber hat Hofmann keine Zahlen. Sie vermutet aber, dass die langwierige Anerkennung der Abschlüsse dahinterstecken könnte, wenn zum Beispiel gut ausgebildete Akademikerinnen Jobs annehmen, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen. 

Ist die Welle der Hilfsbereitschaft in der Zwischenzeit verebbt?

Ohne Hilfe finden sich die wenigsten Migrantinnen zurecht. Während zu Anfang des Krieges ein großes Engagement von Privatpersonen und Vereinen zu sehen war, ist die Zahl dieser Personen zwar zurückgegangen, hat sich aber auf einem hohen Niveau stabilisiert, wie Hofmann im Welcome Center Stuttgart wahrnimmt: „Insbesondere haben wir eine sehr aktive ukrainische und russischsprachige Community und Vereine, sie sich als Alltagsbegleiter, Sprachmittler/Dolmetscher und Behördenbegleiter engagieren." 

Selbst Mentorin für eine Migrantin werden?

Auch das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen des Landesprogramms Frau und Beruf setzt hier an: Ehrenamtlich arbeitende Frauen, die sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt und mit der hiesigen Unternehmenskultur auskennen, unterstützen Migrantinnen auf ihrem Weg in den Job. Das Programm war auch 2022 wieder ein großer Erfolg und hat 69 Migrantinnen und 70 Mentorinnen zusammengeführt.

 

5 Fragen an die Kontaktstellen Frau und Beruf

Mit welchen Fragen Migrantinnen hier ankommen und wie sich ihre Berufserfahrungen von unseren unterscheiden, erläutern die Beraterinnen der Kontaktstellen Frau und Beruf.

1. Was unterscheidet die Arbeitssuche von Migrantinnen von der Suche deutscher Frauen?
Der wesentliche Unterschied besteht in den Kenntnissen über das deutsche Schul- und Ausbildungssystem. Berufssuchende Frauen aus Deutschland, wie beispielsweise Wiedereinsteigerinnen, sind mit dem deutschen System „vertraut“ – die Probleme im Zusammenhang mit der Anerkennung eines Schulabschlusses existieren bei ihnen nicht. 
Viele ausländische Ausbildungen sind zudem stärker theoretisch ausgelegt. In diesen Fällen fehlen Migrantinnen oftmals die in Deutschland erforderlichen Praxiskenntnisse – die jedoch je nach Beruf in Deutschland nachgeholt werden können.

2. Welche Hürden gibt es bei der Anerkennung von Abschlüssen aus dem Ausland?
Ausschlaggebend bei der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen ist das Herkunftsland: die Chance auf Anerkennung ist bei Abschüssen aus EU-Ländern deutlich einfacher. Bei Abschlüssen aus Nicht-EU-Ländern kann es erforderlich sein, eine Ausbildung bzw. ein Studium in Deutschland nachzuholen. Dabei ist es jedoch in manchen Fällen möglich, dies in einer verkürzten Form – z.B. im Rahmen einer einjährigen Ausbildung in Deutschland – nachzuholen. Diese kann teilweise (beispielsweise in vielen Pflegeberufen) auch berufsbegleitend, also parallel zur Ausübung eines Berufs geschehen. 
Viele osteuropäische Berufsausbildungen können in Deutschland anerkannt werden, erfordern allerdings noch ein Praktikum in Deutschland (Anerkennungsjahr).

3. Welche Berufe sind chancenreich für Migrantinnen?
Chancenreiche Berufszweige stellen Medizin oder Pflegeberufe dar. Ebenfalls vielversprechend sind MINT-Berufe – insbesondere aus den Gebieten Technik oder IT/Softwareentwicklung. 

Schwierig gestaltet sich die Jobsuche in Berufsfeldern, die einerseits ein hohes Sprachniveau erfordern (z.B. Lehramt) oder andererseits eine sehr landesspezifische Ausbildung benötigen – so orientiert sich ein Jura-Studium immer am Rechtssystem des jeweiligen Landes, weshalb die Anerkennung eines juristischen Abschlusses oftmals schwierig oder überhaupt nicht möglich ist. In einem solchen Fall kann also auch eine vollständige berufliche Neuorientierung eine Alternative darstellen. 

4. Wohin mit den Kindern?
In vielen Ländern stellt die Vollzeitarbeit (100%) die einzig bekannte Option der Erwerbstätigkeit dar. Deshalb ist vielen Migrantinnen nicht bewusst, welche flexiblen Arbeits-(zeit)-modelle sie in Deutschland wahrnehmen können. An dieser Stelle kann ein erstes Beratungsgespräch ansetzen. 
Der Einfluss traditionell geprägter Rollen- bzw. Frauenbilder ist bei Migrantinnen, die Beratungsstellen aufsuchen, hingegen oftmals geringer: Frauen, die sich bereits „trauen“, die Beratung einer Kontaktstelle in Anspruch zu nehmen, haben sich in der Regel bereits intensiv mit dem Rollenverständnis auseinandergesetzt und suchen nach Möglichkeiten, wie sie Mutterrolle und Berufstätigkeit miteinander vereinbaren können. 
Die Kinderbetreuung ist aber nicht nur für berufstätige Mütter relevant: viele Migrantinnen suchen zum Beispiel nach einem Kindergartenplatz, damit ihre Kinder die Sprache erlernen können – und nicht zwingenderweise, um selbst einem Beruf nachzugehen.

5. Wer hilft bei der Integration? 
Der Unterstützungsbedarf für Migrantinnen geht oftmals über eine reine Berufsberatung hinaus. Häufig benötigen die Frauen eine vollumfängliche soziale Beratung. 

Beim Mentorinnenprogramm für Migrantinnen der Kontaktstellen Frau und Beruf werden Frauen, die sich Unterstützung wünschen, mit Mentorinnen zusammengebracht. Die Mentorinnen - oft selbst Migrantinnen - geben ihre eigenen Erfahrungen und ihr Wissen weiter.

Neben den oben erwähnten Welcome Centern und den Kontaktstellen stellen die Migrationsberatung bei den Landratsämtern, der/die Integrationsbeauftrage der Kommunen und Städte, regionale Stiftungen und Vereine oder der Freundeskreis Asyl (ebenfalls dessen regionale Niederlassungen) dar.

 

TIPP:

Wie erfolgreich die Arbeit von Mentorinnen und Mentees sein kann, zeigen unsere Erfolgsgeschichten "Mentoring out Loud".

TIPP

Die Integreat-App informiert in mehreren Sprachen über Veranstaltungen, spezielle Angebote für Kinder und unterstützt bei allgemeinen sozialen Themen (z.B. Arztsuche).