Women Leadership Lunch: KI - Chancen + Risiken

Führungsfrauen vor dem Neuen Schloss in Stuttgart

Teilnehmerinnen des Women Leadership Lunch im Juni 2023 vor dem Neuen Schloss in Stuttgart. Foto: Jasmin Zipp

Women Leadership Lunch: Chancen und Risiken von New Work und Künstlicher Intelligenz für die baden-württembergische Wirtschaft und Arbeitswelt

Wie wird der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in Unternehmen in Baden-Württemberg gesehen? Welche Chancen, Hindernisse und Risiken ergeben sich im Zusammenhang mit der KI-Revolution in der Arbeitswelt? Welche Rolle spielen Frauen bei der digitalen Transformation?

Führende Frauen aus Firmen im Land diskutierten über diese Themen am 26. Juni beim 4. Women Leadership Lunch auf Einladung von Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut im Neuen Schloss in Stuttgart. Die Wirtschaftsministerin wies zu Beginn des Events auf die Bedeutung der digitalen Technologien hin: "Künstliche Intelligenz (KI) ist in unserem Alltag schon heute allgegenwärtig, zählt zu den mit Abstand wachstumsstärksten Zukunftstechnologien und gilt damit zu Recht als Schlüssel zur Welt von Morgen". Die Ministerin forderte: "Die enormen Wachstums- und Wertschöpfungspotenziale, aber auch der Erhalt unserer europäischen digitalen Souveränität bei dieser Zukunftstechnologie müssen uns als Ansporn dienen, solche KI-Lösungen in Zukunft auch vermehrt in Europa zu entwickeln". Dabei sei es wichtig, dass insbesondere auch Frauen von Anfang an am Entwicklungsprozess von KI beteiligt sind und diesen zukunftsträchtigen Bereich aktiv mitgestalten.

Facts zur Künstlichen Intelligenz (KI)

Katharina Hölzle, Professorin an der Universität Stuttgart, Institutsleiterin IAT sowie des Fraunhofer IAO und neue Technologiebeauftragte der Wirtschaftsministerin Baden-Württemberg, präsentierte in ihrem Impulsvortrag Statistiken zur derzeitigen Stimmungslage in Deutschland: Laut einer aktuellen Studie haben drei von vier Deutschen bereits von Chat-GPT gehört, aber 60 Prozent haben es noch nicht ausprobiert. Bei jungen Menschen sieht es anders aus: Die Hälfte der unter 25-Jährigen nutzt Chat-GPT in Schule oder Hochschule, beispielsweise um Präsentationen zu erstellen oder als Lernhilfe. Bei Frauen über 45 Jahren und Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau wäre die Nutzung deutlich geringer, erklärt Hölzle weiter. Hinsichtlich der Einstellung gegenüber künstlicher Intelligenz sei es so, dass acht von zehn Personen Risiken beim Einsatz der Künstlichen Intelligenz sähen. Deshalb setzt Hölzle ihre Hoffnung auf den „European AI Act“, wenn es um die künftige Regulierung von Künstlicher Intelligenz geht. Hier müsse es einerseits eine gut umsetzbare aber andererseits den Wertevorstellungen der europäischen Union entsprechende Lösung geben.

Brauchen wir in Zukunft keine Programmierenden mehr?

Eine McKinsey-Studie (2023) beleuchtet die Auswirkungen von KI auf die Unternehmen in verschiedenen Branchen. Die Hightech-Industrie und das Software Engineering sind am stärksten betroffen. In Zukunft können Teile von Programmierung und Algorithmenerstellung zunehmend von Algorithmen selber übernommen werden. "Das war vor gut einem Jahr schwer vorstellbar", zeigt sich auch Hölzle überrascht.

Wo wird KI in Zukunft den Menschen unterstützen?

KI werde die Menschen unterstützen, aber nicht ersetzen, so Hölzle. Dies gelte nicht nur für Routineaufgaben, sondern auch für kreative Arbeit. Auch die Aufgaben von Forschenden und Lehrenden werden sich ändern: "Jahrzehntelang haben wir gesagt, dass es die Aufgabe der Forschung ist, bestehendes Wissen zusammenzutragen und weiterzudenken. Jetzt sehen wir, dass die KI dies in Teilen mindestens genauso gut kann." Die Lehre und der gesamte Bildungssektor werden laut der Professorin dadurch große Disruptionen (Veränderungen) erleben und stehen vor der Herausforderung ihre Aufgaben neu zu definieren.

Das ist vorbei: Der Mensch denkt und die Maschine führt aus

"Die Maschine denkt und lenkt jetzt auch. Wo bleibt dann unsere Aufgabe?", fragt Hölzle. Hier kommt die "symbiotische Interaktion" ins Spiel: Es gibt keine klare Grenze mehr zwischen dem, was Menschen tun, und dem, was von Maschinen übernommen wird. Beide ergänzen sich symbiotisch. Der Herausforderung für den Menschen liegt damit darin, auf der einen Seite einen Rahmen vorzugeben, in dem die Maschine ihre Aufgaben durchführt, auf der anderen Seite aber auch zu verstehen, wie die Maschine „denkt“. Jeder Mensch müsse in Zukunft ein Grundverständnis darüber haben, was Algorithmen können und was nicht.

Und in welchen Bereichen wird KI in Zukunft vor allem vorangetrieben? Insbesondere im industriellen Bereich stehen wir erst am Anfang der Entwicklung, so Hölzle. Das Zusammenspiel verschiedener digitaler Technologien wie beispielsweise dem digitalen Zwilling in der virtuellen Welt, dem sogenannten Metaversum, wird bedeutende Auswirkungen haben

Der Algorithmus ist nicht intelligent

"Die Algorithmen, die wir als Künstliche Intelligenz bezeichnen, sind weder intelligent noch gerecht": Hölzle führte ein Beispiel aus dem Hause Amazon an, bei dem Lebensläufe von Frauen im Recruiting vom Algorithmus aussortiert wurden, weil in der Vergangenheit hauptsächlich Männer eingestellt wurden. Was als Datengrundlage in eine KI eingespeist wird, spiegelt sich in den Ergebnissen wider: "Garbage in - Garbage out", schmunzelte die Professorin. Ähnlich verhält es sich bei kreativer KI, die beispielsweise ein Bild von Geschäftsführenden generieren soll und nur Männer hervorbringt. Die Grundlage der Daten ist immer entscheidend. Was wurde eingespeist, was ist in den Datenbanken vorhanden? Das bestimmt, welche Texte, Bilder, Stimmen und Videos von einer generativen KI erzeugt werden. In all diesen Tools gibt es derzeit deutliche Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern (Gender Bias), da "Datenmengen oft in einer (Arbeits-)Welt gesammelt werden, in der Frauen weniger präsent sind", erklärt Hölzle. Dies erzeuge eine selbstverstärkende Spirale.

Mehr Frauen mit KI-Know-how!

Das Resümee der Expertin lautet: "Wir benötigen bewusst anders zusammengesetzte Datenbanken, Filter und Korrekturen durch Benutzerinnen". Auch KI selbst kann dazu verwendet werden, um Ungerechtigkeiten in KI-Tools aufzudecken. Die Wissenschaftlerin richtete am Ende ihres Impulsvortrags einen Appell an die Anwesenden: "Wir Frauen müssen uns aktiv mit KI auseinandersetzen und benötigen die hierfür erforderlichen Kompetenzen. Wir dürfen dieses Feld nicht anderen überlassen und müssen uns als Frauen einbringen!"

KI beschäftigt die Führungsfrauen

KI beschäftigt die Führungsfrauen

Bei der Diskussion der Spitzenfrauen aus der baden-württembergischen Wirtschaft wurde deutlich, dass allen das Thema unter den Nägeln brennt und es eine Vielzahl von Unternehmensperspektiven gibt. Diese vier Themenbereiche prägten die Diskussion:

Mehr Frauen in MINT-Berufe

Intensiv wurde das Problem erörtert, wie Mädchen für digitale/technische Berufe und KI begeistert werden können und wie sich dafür Schule, (Hochschul-)Bildung und Ausbildung ändern müssen. Dass sich zu wenige junge Frauen für MINT-Fächer entscheiden, hat sich trotz vieler Bemühungen in den letzten Jahren vor allem im Bereich der Ausbildung nur wenig geändert. Gesellschaftliche Stereotypen, aber auch mangelndes Zutrauen in die technischen Fähigkeiten von Mädchen vonseiten der Eltern und Lehrenden werden als Ursachen ausgemacht. Frühere Förderung - schon im Kita-Alter - und befristeter, geschlechtergetrennter Unterricht könnten hier ein Ansatz sein, um das Interesse von Mädchen an technischen/digitalen Inhalten zu fördern und zu halten. Letztendlich müsse die „digital literacy“ (deutsch: Digitale Kompetenz) neben schreiben, lesen und rechnen als eine weitere Kulturtechnik insgesamt in Curricula verankert werden.

Universitäten und Berufsausbildung

An den Universitäten fehle es an interdisziplinärer Qualifizierung der Studierenden für zukünftige Herausforderungen: Juristinnen und Juristen müssten mit IT-Fachkräften kommunizieren können, genauso wie Wirtschaftsexpertinnen und -experten mit Ingenieurinnen und Ingenieuren. Wenn die Absolventinnen und Absolventen diese Fähigkeiten nicht mitbrächten, müsse das mit großem Aufwand in den Unternehmen erarbeitet werden.
Auch alle Ausbildungsberufe sollten in Zukunft vor dem Hintergrund der KI bewertet und weiterentwickelt werden.

Regulierung von Künstlicher Intelligenz

Dass generative KI reguliert werden muss, stellte niemand in der Runde in Frage. Dass Europa dazu neige, die Regulierung von KI zu restriktiv anzugehen, wird kritisch gesehen. Zu viel Regulierung behindere Innovation und bewirke, dass Europa bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien im internationalen Vergleich zurückfalle. 

Sensibilisierung der Unternehmen

Vor allem der Mittelstand, der wesentlich zum Wohlstand im Land beitrage, tue sich noch schwer mit dem Thema Künstliche Intelligenz. Angebote, wie zum Beispiel die KI-Checker der IHK, die Unternehmen beraten, seien wertvoll, aber oft nicht nachhaltig genug, das Thema in den Unternehmen voranzutreiben. 

Erfolgreich würden die Unternehmen sein, die es schaffen, das Thema KI ganz oben in der Geschäftsführung zu verankern, davon ist eine der Teilnehmerinnen der Diskussionsrunde überzeugt. Alle Geschäftsleitungen sollten die Frage beantworten, in welchen Bereichen KI zukünftig wichtig wird und wo menschliches Know-how einen Vorteil bietet.

Die digitale Transformation erfordere ein Umdenken in allen Unternehmen. Um alle Kollegen und Kolleginnen mitzunehmen, seien große Anstrengungen nötig. Innovative Ansätze wie "Reverse-Mentoring", währenddessen junge "Digital Natives" von Erfahrenen lernen, ABER genauso umgekehrt, die Erfahrenen von den Jungen profitieren, stießen auf großes Interesse in der Runde. Um mehr Frauen für die Zukunftsbereiche zu gewinnen, müsse das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Unternehmen großgeschrieben werden. 

In deutschen Unternehmen würde zudem noch zu sehr aus alten Blickwinkeln agiert. Man entwickele immer noch schwerpunktmäßig Autos und Maschinen, obwohl der Anteil an Technik sinkt, während der an Software steigt. Die Produkte würden in vielen Unternehmen traditionellerweise noch zu sehr "durch die Brille des Ingenieurs, anstatt durch die Brille der Software- und KI-Experten und -Expertinnen gesehen" und entwickelt.