"Starkes Bedürfnis nach hybrider Arbeit"

Homeoffice: Arbeitende Frau mit Kind vor PC

Seit Corona auf dem Vormarsch: Flexibles Arbeiten zuhause wird von vielen Angestellten gewünscht.

Hybrides Arbeiten, also eine Kombination von Präsenzzeit in der Firma und mobiler Arbeit oder Homeoffice, ist seit der Corona-Pandemie in vielen Unternehmen das "neue Normal". Eine repräsentative Umfrage des ZEW in der Informationswirtschaft und im verarbeitenden Gewerbe zeigt, dass viele Unternehmen auch nach Corona mobiles Arbeiten unterstützen.

Eine Studie der Universität Konstanz unter der Leitung von Professor Dr. Florian Kunze hat seit Ausbruch der Pandemie im März 2020 regelmäßig eine Stichprobe von Erwerbstätigen zu ihrer Arbeitssituation und zur hybriden Arbeitswelt befragt.

Die Homeoffice-Studie zeigt, dass bei den Befragten "ein starkes Bedürfnis nach hybrider Arbeit besteht - 64 Prozent der Befragten gaben im April 2022 an, dass sie sich eine Arbeitssituation wünschen, in der sie flexibel sowohl zu Hause als auch im Büro arbeiten können. Nur 10 Prozent wollen ausschließlich im Büro tätig sein und 26 Prozent wünschen sich, Vollzeit im Homeoffice zu arbeiten".

Die Ergebnisse der Studie werden im Folgenden durch verschiedene Beispiele aus der Praxis veranschaulicht: Fünf Frauen geben Einblicke in ihren Arbeitsalltag zwischen Präsenz in der Firma und Arbeit zuhause und zeigen, wie vielfältig hybrides Arbeiten in Unternehmen gehandhabt wird.

 

Laura K*: Flexibel zwischen Kind und Beruf

Laura ist Mutter von drei Schulkindern und arbeitet zu 75 Prozent als Online-Redakteurin in einer Karlsruher Agentur. Ihre Arbeit ist überwiegend digital. Ihr Unternehmen verlangt einen Präsenztag, sie kann aber ihre Arbeitszeit sehr flexibel gestalten.

Die Ergebnisse der Homeoffice-Studie zeigen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben durch mobiles und hybrides Arbeiten gut gelingt. Auch Laura K. ist mit der Flexibilität, die sie durch das hybride Arbeiten gewinnt, sehr zufrieden: „Die Arbeit passt sich meinem Leben an und nicht umgekehrt!“ Vor allem das Abholen und Bringen der Kinder zu deren verschiedenen Aktivitäten lässt sich damit gut in den Arbeitsalltag integrieren. Durch die Zeitersparnis, die sie ohne Arbeitsweg hat, kann sie sogar mehr Stunden pro Woche arbeiten als in einem reinen „Präsenzjob“, was nicht nur ihrem Haushaltseinkommen, sondern auch ihrer Rente zugute kommt.

Die durchschnittliche Wahrnehmung von Konflikten im Spannungsfeld zwischen Arbeit und Privatleben ist laut der Konstanzer Studie konstant gering. Wie für viele Befragte der Konstanzer Studie ist es aber auch für Laura K. eine Herausforderung, die Grenzen zwischen ihren Lebensbereichen zu ziehen. „Da gibt es schon mal ein Gemaule, wenn die Mama wieder am Handy hängt, um die beruflichen Social Media Feeds zu checken.“ Das, so Laura K., habe aber vor allem mit dem Berufsbild einer Online-Redakteurin zu tun, die eben immer und überall auf ihre Arbeit zugreifen kann. Rituale, um die Arbeit vom Privaten zu trennen, hat sie noch nicht eingeführt.

Laura K. räumt ein, dass sie im Homeoffice manchmal auch dann arbeitet, wenn sie normalerweise krankheitsbedingt das Haus nicht verlassen würde. Laut der Homeoffice-Studie tun dies über 70 Prozent der Befragten, was die Autoren der Studie als deutliches Warnsignal werten, da dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu späteren Beschwerden und Krankschreibungen führe. Zudem schränke Krankheit die Arbeitsfähigkeit ein. Hier sieht die Studie einen hohen Bedarf, bei mobiler Arbeit besser auf die Gesundheit zu achten.

„Ich nehme die Arbeit in der Regel nach einer Krankheit auch früher wieder auf, wenn ich zuhause bleiben kann“, überlegt Laura K. Und, dass sie arbeiten kann, wenn die Kinder krank sind, sieht sie als großen Vorteil: „Bei drei Kindern falle ich so deutlich seltener aus“.

 

Ellen H.: „Einmal in der Woche buche ich einen Arbeitsplatz im Unternehmen“

In dem Stuttgarter Verlag, in dem Ellen H. arbeitet, wurde ein modernes Buchungssystem eingeführt, mit dem man sich im Voraus einen Arbeitsplatz im Unternehmen reservieren kann.  In der Regel wird ein Anwesenheitstag pro Woche gewünscht, aber letztlich entscheidet jedes Team selbst, wie und wann die Mitarbeiter/innen anwesend sein sollen. Die Arbeitsplätze sind funktional eingerichtet und frei von persönlichen Gegenständen. “Es war schon ein großer Schritt, als wir alle unsere persönlichen Dinge aus den Büros räumen mussten, um unsere Plätze für alle zur Verfügung zu stellen. Da kam Wehmut auf - und bei dem einen oder anderen lag ein halbes Arbeitsleben in der Schublade“, schmunzelt Ellen H., die seit über 20 Jahren im selben Unternehmen arbeitet.

Inzwischen hat sie sich an die unpersönlichen Arbeitsplätze gewöhnt, sieht aber noch Verbesserungsbedarf: „Wenn man plötzlich mit jemandem in einem Raum sitzt, der viel telefonieren muss, dann stört das schon erheblich. Hier müsste es abgeschirmte Bereiche für laute und leise Arbeiten geben“. Insgesamt sieht Ellen H. aber ansonsten große Vorteile in der Arbeits- und Lebensgestaltung im Homeoffice mit selbstbestimmten und flexibleren Arbeitszeiten: „Im Sommer mache ich eine längere Mittagspause und gehe dann schnell im Freibad schwimmen. Früher wäre der Aufwand wegen der Entfernung zum Bad zu groß gewesen“. Wie in der Homeoffice-Studie sind auch für Ellen H. der Wegfall des Arbeitsweges und die Flexibilität die Hauptargumente, die für die Arbeit von zu Hause aus sprechen: 87 Prozent der Befragten schätzen am Homeoffice besonders den Wegfall des Arbeitsweges, gefolgt von der flexiblen Verfügbarkeit während der Arbeitszeit (72 Prozent) und mehr Ruhe zum Arbeiten (56 Prozent).

 

Ingrid H.: „Ich möchte nur einen Tag von zu Hause aus arbeiten“

Ingrid H. arbeitet als Planerin in einem Solarunternehmen im Landkreis Esslingen. Sie ist eine der ersten, die in ihrem Unternehmen (ca. 300 Mitarbeiter) von zu Hause aus arbeitet: „Einmal die Woche im Homeoffice reicht mir. Mehr will ich nicht. Sonst verliere ich zu viel Kontakt zu meinen Kollegen und bin abgeschnitten von den Informationen, was in der Firma passiert“. Mit einem Tag im Homeoffice liegt sie deutlich unter den 2-3 Tagen, die in der Homeoffice-Studie als Wunsch der meisten Befragten ermittelt wurden. Ein Grund dafür ist der persönliche Kontakt zu den Monteuren, für die sie die Ansprechpartnerin ist.

Die Ausstattung für die Arbeit zu Hause erhält sie nicht von der Firma. Allerdings musste sie unterschreiben, dass sie auch beim Arbeiten daheim die Arbeitsschutzgesetze einhält und ihr Arbeitsplatz ergonomisch eingerichtet ist, sonst hätte sie keine Genehmigung für die mobile Arbeit bekommen. Sie musste sogar an einem Online-Kurs über richtiges Sitzen teilnehmen. 

Beim Thema „gesundes Sitzen“ hapert es laut der Homeoffice-Studie generell: Weniger als ein Drittel der Befragten gab an, von ihrem Arbeitgeber einen ergonomischen Schreibtisch (10 Prozent) oder einen ergonomischen Bürostuhl (19 Prozent) zur Verfügung gestellt bekommen zu haben. Die Ergebnisse der Studie zeigen also, dass Unternehmen die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei mobiler Arbeit noch besser unterstützen könnten.

Die Zeit zu Hause nutzt sie, um Kunden, denen sie Angebote geschickt hat, nachzutelefonieren: „Im Großraumbüro stört man sich oft gegenseitig mit Telefonaten“. Oder sie lernt ungestört im Rahmen ihrer Weiterbildung.

Ingrid H. hält ihre Arbeitseffizienz zu Hause für sehr gut. Damit entspricht sie den 85 Prozent der Befragten der Homeoffice-Studie, die ihre Produktivität durch das flexible Arbeitsmodell als „hoch“ oder „sehr hoch“ einschätzen.

 

Brigitte B.: Auch die Chefin liebt das Homeoffice

Die Agentur von Brigitte B. beschäftigt rund 30 Mitarbeitende und hat festgelegt, dass jedes Team selbst entscheidet, wie es arbeitet. „Die Mitarbeitenden sollen sich bei uns wohlfühlen und auch Familie und Beruf gut vereinbaren können.“ Mindestens ein Teamtag pro Woche wird jedoch von der Geschäftsleitung vorgegeben. Für das mobile Arbeiten zu Hause stellt das Unternehmen Laptops, Headsets und große Monitore zur Verfügung.

Auch in der Homeoffice-Studie gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, Bildschirme und Headsets für die Arbeit gestellt zu bekommen.  

Der „Teamtag“ in der Agentur von Brigitte B. wurde nach der Corona-Zeit eingeführt, als die Geschäftsleitung merkte, dass es online schwieriger ist, die Befindlichkeiten der Mitarbeitenden zu erfassen und entsprechend zu reagieren.

Doch wie geht man als Chefin mit Mitarbeitenden um, die ihre Arbeit von zu Hause aus nicht zufriedenstellend erledigen? „Die meisten sind sehr zuverlässig. Und wer zu Hause in der Leistung nachlässt, muss eben wieder öfter ins Büro kommen. Das mobile Arbeiten ist ein Angebot des Unternehmens und steht nicht im Arbeitsvertrag, kann also jederzeit widerrufen werden“, sagt Brigitte B.

Laut der Homeoffice-Studie kommt den Führungskräften eine Schlüsselrolle zu, da sie „viel tun können, um das Gefühl der Einsamkeit und Isolation zu verringern“, indem sie proaktiv Gelegenheiten für den fachlichen und informellen Austausch schaffen und den Teamzusammenhalt stärken. 

"Es geht auch etwas verloren, wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger treffen," sagt auch Brigitte B. „Dem versuchen wir mit Townhalls (Online-Veranstaltungen, an denen alle teilnehmen) und Festen entgegenzuwirken.“ Letztere würden von den Mitarbeitenden sehr geschätzt.

Und wie sieht die Chefin selbst ihre Arbeit im Homeoffice? Brigitte B. arbeitet sehr gerne von zu Hause aus. Vor allem konzeptionelles Arbeiten funktioniere zu Hause ungestört besser. Gleichzeitig findet sie die Mischung aus Präsenz und mobilem Arbeiten wichtig. Für Führungskräfte seien zwei bis drei Tage im Büro ideal.

Und wie werden sich die Arbeitsmodelle in Zukunft entwickeln? „Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Hybrides Arbeiten wird bleiben“, ist sich Brigitte B. sicher.

 

Marie T.: Stimmung auf dem Tiefpunkt

Dass Firmen, die das Rad zurückdrehen wollen, heftig Gegenwind erfahren, belegt das Beispiel von Marie T., die als MINT-Expertin in einem mittelständischen Betrieb im Großraum Stuttgart arbeitet.

Seit der Coronapandemie hatte sie gar keinen Arbeitsplatz mehr in ihrer Firma und arbeitete auf einer Teilzeitstelle nur noch von zuhause aus, wie ihre gesamte Abteilung. Vom Arbeiten daheim berichtet die Mutter, deren Kind schon aus dem Haus ist, nur Positives: "Der größte Vorteil ist die Ruhe bei der Arbeit zuhause. Bisher saßen wir zu fünft in einem Raum. Da redet oder telefoniert immer jemand, so dass es schwer fällt, sich zu konzentrieren. Zuhause arbeite ich konzentrierter."

Den Kontakt mit Ihrem Team hielt sie per Videocalls. Zwei bis drei Mal in der Woche schaltete sich das ganze Team zusammen. Dazu kamen noch viele bilaterale Gespräche mit Kollegen und Kolleginnen, die an den selben Aufgaben arbeiten. "Die Kommunikation läuft super. Überhaupt die ganze Arbeit in der Abteilung!", freute sich Marie T.

Dann im Sommer, an einem Freitag, kam die schlechte Nachricht: Alle Mitarbeitenden sollten ab dem darauffolgenden Montag wieder in Präsenz am Stammsitz erscheinen. Zukünftig soll nur noch ein Tag pro Woche im Homeoffice gearbeitet werden. Begründung: Man wolle zusammenhalten, Ungerechtigkeiten in der Belegschaft vermeiden, zwischen denen, die mobil arbeiten können und denen, deren Arbeit es nicht zulässt.

Die Welle der Entrüstung war groß: "Gleich drei Personen in meinem Team wollten sofort kündigen oder früher in Rente gehen", weiß Marie T.. Auch sie selbst sichtet verstärkt Stellenanzeigen.

Besonders hart trifft es Eltern, die ihre Kinderbetreuung auf das Homeoffice ausgerichtet oder ihre Arbeitszeit wegen des wegfallenden Arbeitsweges sogar aufgestockt hatten - auch ihnen wird keine Übergangsfrist gewährt, um die Kinderbetreuung neu zu organisieren.

Die Stimmung in der Firma ist schlecht, die Arbeitsmotivation auf dem Tiefpunkt. Auf den Gängen ist die Rede von "Dienst nach Vorschrift".

Ob es also für Unternehmen ratsam ist, angesichts des Fachkräftemangels — der im naturwissenschaftlich-technischen Bereich ohnehin ausgeprägt ist — die zeitliche und räumliche Flexibilität der Belegschaft wieder einzuschränken, darf also bezweifelt werden.

*Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewpartnerinnen anonymisiert.

 

Zusatzinfo

Die Konstanzer Homeoffice-Studie wird im Rahmen der Frauenwirtschaftstage am 18.10.23 vorgestellt