Meine große Herausforderung als Projektmitarbeiterin ist das Matchen der Tandems. Denn die individuelle Beziehung zwischen Mentorin und Mentee ist entscheidend für den Erfolg des Mentorings.
Sie betreut das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen der Kontaktstelle Frau und Beruf Ostwürttemberg-Ostalbkreis. Die 34-Jährige hat Gesundheitsförderung studiert, eine Coaching Ausbildung gemacht und immer mit Menschen in multiplen Problemlagen gearbeitet.
Zur Kontaktstelle kam sie 2019 selbst als Mentorin im Programm. „Ich habe schon immer gerne Menschen geholfen“, sagt sie. „Besonders faszinierend finde ich, mit wie wenig Unterstützung wir so viel bewirken können! Interessant für mich als Mentorin war damals, dass meine Mentee etwas anderes erreicht hat, als ich gedacht habe. Ich hatte mir ihre berufliche Integration auf die Fahnen geschrieben und habe dann schnell gemerkt, dass es als Mentorin sehr wichtig ist, nicht die eigenen Ziele und Erwartungen überzustülpen, sondern den Prozess der Mentee zu begleiten. Wir müssen einen Raum öffnen für die Mentee und für alles, was sie bewegt!“
Die Mentorin nutzt ihre Kontakte, damit die Mentee einen Fuß in die Tür der hiesigen Arbeitswelt bekommt. Deshalb führt Isabel Sandel als Programm-Mitarbeiterin Kennenlerngespräche mit allen Frauen durch, die sich für das Programm bewerben. Dabei prüft sie nicht nur, ob ein Tandem beruflich zusammenpasst, sondern auch menschlich.
Wir sprechen hochkarätige Mentorinnen an
Wie bedeutsam das ist, bestätigt die Koordinatorin des Programms, Susann Radmacher. „Das Matching muss passen. Wenn das Tandem nicht funktioniert, funktioniert das Mentoring nicht. Ich habe auch gelernt, wie wichtig es ist, hochkarätige Mentorinnen anzusprechen, auch Führungskräfte. Denn die Mentorin sollte beruflich mindestens eine Stufe über der Mentee stehen, um diese mitziehen zu können. Dabei soll es aber nicht so sein, dass die Mentorin ihre Mentee unterschätzt à la > Ich-zeige-dir-wie-es-geht<. Wir sehen das, was andere mitbringen als Ressourcen!
Und noch etwas ist wesentlich: Die Mentorin muss nicht zwingend einen Migrationshintergrund haben; denn Menschen mit Migrationshintergrund sind nicht automatisch interkulturell kompetent. Kennt die Mentorin die Kultur ihrer Mentee nicht, stellt sie unter Umständen hilfreiche Fragen.“
Nikola Roschitsch brachte alle Voraussetzungen mit. Die 36-Jährige ist als Business Coach selbstständig und außerdem als Personalentwicklerin in Teilzeit angestellt. Deshalb war das Programm für sie fachlich doppelt interessant.
Ich kenne beide Seiten: Menschen vorzubereiten, in ein Unternehmen zu kommen und gleichzeitig auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen und zu wissen, was es braucht.
Wir gehen im Tempo der Mentee
Daher war sie sofort dabei: „Mir gefällt gut, dass das Programm etwas Langfristiges ist, nicht nur eine einmalige Initiative!“
Als sie ihre Mentee zum ersten Mal traf, merkten beide gleich: das passt – fachlich und menschlich. Zuerst hat sich das Tandem um die Masterarbeit von Erika Szekeres gekümmert, die hat Nikola Roschitsch Korrektur gelesen.
„Dann war es wichtig, Erikas Durcheinander im Kopf zu sortieren, eine Struktur zu entwickeln. Wir haben erstmal aufgeschrieben, was wir bis November schaffen können und herausgefunden, welche Schritte Erika gehen will. Denn das ist ja sehr wichtig: als Mentorin kann ich nur unterstützen, wenn jemand die Schritte auch selber gehen möchte.
Dann haben wir uns überlegt, was sie sich für einen Job wünscht. Was will sie, was kann sie und wo sind die Schnittmengen? Wir haben da immer tiefer gegraben, uns angeschaut, welche Branchen kommen für Erika infrage, welche Rahmendaten. Es war uns sehr wichtig, dass sie einen familienfreundlichen Arbeitnehmer findet. So haben wir den Kreis immer enger gezogen und Bewerbungen erstellt. Danach wurde Erika zu Bewerbungsgesprächen eingeladen und wir haben daran gearbeitet, wie sie dabei auftritt. Die so genannten soften Themen, wie zum Beispiel Mut, haben wir immer im jeweiligen Kontext behandelt. Wir haben geschaut, wo Erikas Komfortzone ist und wie sie sich da einen kleinen Schritt herauswagen kann, einen Schritt nach dem andern. Dabei war es sehr wichtig, dass wir in Erikas Tempo gegangen sind.“
Erika Szekeres lebt seit zehn Jahren in Deutschland und hat drei kleine Kinder. In ihrem Heimatland Ungarn hat sie einen Bachelor gemacht und war dann bei einer Bank beschäftigt. In Deutschland arbeitete sie fast vier Jahre in der Gastronomie, dann wurde sie schwanger, verbesserte ihre Deutschkenntnisse während der Elternzeit und studierte International Marketing and Sales.
Das Programm hat mir so viel Mut gegeben
„Als Corona kam, konnte ich mit meinen kleinen Kindern trotzdem gut an den Vorlesungen teilnehmen und Ende Mai 2022 meine Masterarbeit abgeben. Als ich dann vom Mentorinnen- Programm erfahren habe, dachte ich, sie helfen mir, Bewerbungen zu schreiben und mich auf ein Vorstellungsgespräch vorzubereiten und solche Sachen. Aber das war viel mehr! Das Programm, Nikola, hat mir so viel Mut gegeben! Und ich habe so viele gleichgesinnte Frauen getroffen. Das war echt Wahnsinn“.
Vorher hatte Erika Szekeres ständig an sich gezweifelt und sich gefragt, ob ihre Deutschkenntnisse gut genug sind. Dank ihrer Mentorin konnte sie diese Spirale durchbrechen: „Nikola hat immer zu mir gesagt: Du schaffst das, Du kannst das, das ist genug, sei mutig! Das hat mir sehr geholfen!“
Dieses Lob freut ihre Mentorin.
Es zählen ja nicht nur die Qualifikationen, die eine Frau aus ihrem Heimatland mitbringt. Nicht nur die Formalien sind bedeutsam, sondern vor allem die Frage: Was darf ich denken? Kann ich mir das anmaßen, ich komme ja aus dem Ausland und dann wünsche ich mir so einen Job?
Dabei geht es auch um das Thema Mut. Ich war nur eine Woche im Urlaub, letztes Jahr, und als ich wiederkam, hat mir Erika erzählt, dass sie eine Stellenanzeige gesehen hatte, die sie interessant fand. Sie hat sich beworben, wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und bekam den Job. Bähm! Wie mutig!!!
Und auch in ihrem neuen Arbeitsalltag wagt sich Erika Szekeres täglich aus ihrer Komfortzone: „Ich stehe am Schalter der VR-Bank und unterstütze die Kunden bei allen ihren Anliegen. Das ist jeden Tag eine Herausforderung, aber es wird auch jeden Tag besser mit der Sprache. Obwohl es etwas anderes ist, als ich in meinem Studium gelernt habe, bin ich happy mit der Arbeit, denn ich habe den Kontakt zu unterschiedlichen Menschen vermisst.“
Das Tandem zieht Bilanz
Mentee und Mentorin sind beide sehr zufrieden mit dem Mentorinnen-Programm. „Ich habe versucht, an so vielen Veranstaltungen wie möglich in der Kontaktstelle teilnehmen. Die waren wirklich sehr hilfreich. Wir haben uns auch mit den anderen Mentees ausgetauscht. Ich finde es sehr wichtig, die Chancen zu nutzen, die mir geboten werden!“
Und Mentorin Nikola Roschitsch ergänzt: „Der Kontakt zur Kontaktstelle war immer gut. Ich fand es auch sehr schön, dass wir eine gemeinsame Abschlussveranstaltung in Präsenz hatten, sodass wir alle Tandems kennenlernen konnten.
2023 startete der siebte Durchlauf mit sieben Tandems. Die Kontaktstelle muss sich bisher nicht um interessierte Teilnehmerinnen kümmern, es melden sich viele Mentorinnen und Mentees. Da ist die Nachfrage höher als Plätze zur Verfügung stehen… Das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen findet langfristig Anklang!
Weitere Infos zum Programm hier.
Kontaktstelle Frau und Beruf Ostwürttemberg-Ostalbkreis, März 2023
Mentorin Nikola Roschitsch (l.) und Mentee Erika Szekeres (r.)
Sie wollen auch Mentorin werden? Hier finden Sie alle Informationen zum Mentorinnen-Programm für Migrantinnen.