Oana Anton

„Der Weg entsteht im Gehen!“

Das Mentorinnen-Programm ist ein zusätzliches Angebot der Kontaktstellen und ergänzt die vielfältigen Maßnahmen der Kontaktstellen und anderer Anbieter:innen. Übergreifendes Ziel des Mentorings für Frauen mit Migrationserfahrung ist es, die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt des Landes Baden-Württemberg zu verbessern.

In unserem Format „Mentoring Out Loud in Baden-Württemberg“ möchten wir Ihnen einen umfassenden Einblick in das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen geben.

Claudia Koch

Mentorin

Ursula Lemmertz

Beraterin Kontaktstelle Frau und Beruf Freiburg - Südlicher Oberrhein

Oana Anton, Mentee

„Ich bin 2017 mit meinem Mann und meiner kleinen Tochter nach Deutschland gezogen. In Rumänien arbeitete ich als Ingenieurin für Maschinenbau in der Automobilindustrie und konnte viele berufliche Praxiserfahrungen sammeln. In einem Entwicklungszentrum für Automotive war ich als technische Leiterin für ein kleines Team von fünf bis sieben Mitarbeitenden verantwortlich. Mein Tätigkeitsfeld war sehr vielfältig, beispielsweise betreute ich Computersimulationen für Crash-Tests von Fahrzeugen. Allerdings waren meine Weiterentwicklungsmöglichkeiten sehr begrenzt. Als mein Mann ein Jobangebot in Deutschland erhielt, haben wir uns dazu entschlossen, den großen Schritt zu wagen und in ein neues Land zu ziehen. Genau in dieses Zeitfenster fiel auch die Schwangerschaft mit meinem zweiten Kind.

Von 2017 bis 2019 hatte ich Elternzeit und habe diese Zeit intensiv für den Spracherwerb genutzt, schließlich konnte ich kaum ein Wort Deutsch. Ich besuchte dreimal in der Woche einen Sprachkurs, das war mir aber zu wenig. Also belegte ich noch einen Kurs extra für Frauen mit Migrationsgeschichte, um mein Sprachniveau auf B1 bzw. B2 zu verbessern. Ich war voller Engagement bei der Sache. Ich merkte schnell, dass Sprache der Schlüssel ist.“

 

Claudia Koch, Mentorin

„Meine Aufgaben als Mentorin bestehen in der fachlichen Unterstützung, emotionalen Zuwendung und dem Vermitteln an engagierte Menschen. Frau Anton und ich sprechen die gleiche ‚Sprache‘ – das ist ganz wichtig: Wir sind beide Ingenieurinnen und kommen aus einem ähnlichen Fachbereich. Neben der fachlichen Qualifikation hat es aber auch zwischenmenschlich mit uns gepasst. Unsere Zusammenarbeit war immer vertrauensvoll und auf Augenhöhe.

Ich habe vier Jahre lang in Thailand gelebt und gearbeitet. Ich weiß, wie es sich anfühlt, in einem fremden Land zu leben. Unterstützung und interkulturelle Begleitung sind da ganz wichtig. Nachdem ich lange Zeit in der Industrie als Ingenieurin für Produktionstechnik und Ablaufoptimierung gearbeitet habe, wollte ich mich neu positionieren und habe eine psychologische Weiterbildung in therapeutischer Einzelbegleitung gemacht. Deshalb habe ich auch beruflich mit der Begleitung von Veränderungsprozessen zu tun. Ich bin mit Herz und Seele beides: Ingenieurin und Coachin.“

 

Ursula Lemmertz, Beraterin Kontaktstelle Frau und Beruf Freiburg - Südlicher Oberrhein

Ursula Lemmertz betreut das Mentorinnen-Programm für Frauen mit Migrationsgeschichte nun schon seit fünf Jahren und weiß um die oft prekäre und herausfordernde Lage von migrantischen Frauen:
„Wenn ich in einem Land neu ankomme, stellen sich viele Fragen: Wer berät mich? Wo erhalte ich Unterstützung? Ich muss in der Sprache und Kultur ankommen und die Mechanismen und Dynamiken der neuen Heimat verstehen. Wer Kinder hat, muss sich mit dem deutschen Schulsystem auseinandersetzen, parallel dazu Sprachkurse besuchen und all die ‘Alltagsdinge‘ lernen, die für in Deutschland aufgewachsene Frauen selbstverständlich sind. Das bedeutet für viele Frauen in der Regel eine langfristige Unterbrechung ihrer Erwerbsbiografie.

Arbeitgebende sehen hier eine Lücke im Lebenslauf, welche die Chancen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt mindert. Die Aufnahme in den Arbeitsmarkt ist ein langer Prozess und hält viele Rückschläge bereit. Der Weg zum individuellen Ziel ist also nicht immer einfach. Es kann sehr niederschmetternd für die Mentees sein, immer wieder Absagen zu erhalten oder Zurückweisung zu erfahren. Man braucht eine ‚Partnerin‘ an der Seite, die motiviert, Tipps gibt und emotional unterstützt, aber auch die Eigeninitiative fördert – das ist ganz wichtig. Ein weiterer Faktor ist der niedrigschwellige Zugang zu Expertinnenwissen. Die Hemmschwelle, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist sehr viel niedriger, wenn man eine herzliche Beziehung zu der Mentorin hat. Die Rolle der Mentorin liegt also immer zwischen ‚guter Freundin‘ und ‚Coachin‘“.

Welche Besonderheiten weist der deutsche Arbeitsmarkt auf?
„Der deutsche Arbeitsmarkt ist sehr traditionell strukturiert, die Unternehmenskultur eher konservativ geprägt. Das heißt: wer zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden möchte, sollte einen Berufsabschluss sowie gute Bewerbungsunterlagen mit Arbeitszeugnissen vorweisen. Hier liegt häufig ein großes Problem: In anderen Ländern ist es nicht üblich, Zeugnisse auszustellen - arbeitsmarktrelevante Kompetenzen und Erfahrungswerte sind also nicht verbrieft, es fehlen schriftliche Nachweise über bestimmte Stationen der beruflichen Laufbahn. Auch häufige Wechsel bei Tätigkeiten und Arbeitgebenden sowie Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie sind nicht gerne gesehen.“, erklärt Ursula Lemmertz von der Kontaktstelle Freiburg und ergänzt: „Wir könnten so viele Potenziale erschließen, wenn wir mutiger wären. Die Frauen wollen arbeiten, sind hochmotiviert und werden häufig ausgebremst und durch all die Barrieren und Hürden entmutigt und desillusioniert.“

Oana Anton erzählt, dass sie voller Optimismus nach Deutschland gekommen sei: „Ich bin davon ausgegangen, dass ich beruflich einfach an meine bisherige Karriere anknüpfen kann. Schließlich bin ich gut qualifiziert und habe in meinem Heimatland viele Erfahrungen gesammelt. Ich war guter Dinge, schnell eine gleichwertige Arbeit zu finden. Die Anerkennung meines Diploms ging zum Glück sehr schnell. Ich schrieb viele Bewerbungen, passte laufend meine Bewerbungsunterlagen an, fand aber trotzdem keine Arbeit. Vor der Teilnahme am Mentorinnen-Programm besuchte ich Messen, um mir einen Überblick über den deutschen Arbeitsmarkt zu verschaffen, erste Kontakte zu knüpfen und um herauszufinden, in welchen Bereichen die Unternehmen in Freiburg tätig sind. Als ich von der Kontaktstelle die Einladung erhalten habe, am Mentorinnen-Programm teilzunehmen, war ich sehr erleichtert. Ohne das Programm hätte ich den deutschen Arbeitsmarkt nicht verstanden.“

Wie lief der Mentoringprozess ab? Und wo lagen die Schwierigkeiten?
„Wir konnten Frau Anton mit einer Mentorin aus ihrem Bereich zusammenbringen. Frau Koch ist – neben der fachlichen Qualifikation – hervorragend vernetzt und aktives Mitglied im Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Ich hatte direkt das Gefühl, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt. Und so war es auch: Dem Tandem ist es gelungen, eine realistische berufliche Einschätzung zu erarbeiten und die notwendigen Schritte anzugehen“, berichtet Ursula Lemmertz.

„Der Fokus in der Zusammenarbeit lag auf der Stellensuche“, erklärt Claudia Koch. „Wir haben uns die Arbeitskultur in Deutschland angeschaut, die Bewerbungsunterlagen optimiert und nach vakanten Stellen gesucht.“ Oana Anton ergänzt, dass die Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz durch die Pandemie erschwert wurde: „Im März 2020 gab es einfach kaum Arbeitsangebote für mich. Obwohl ich in der Breite gesucht und mich auch auf Stellen beworben habe, die nicht ganz meinem beruflichen Profil entsprachen, wurde ich nur zu zwei Vorstellungsgesprächen eingeladen. Häufig kam auch einfach gar keine Rückmeldung. Das war schon sehr frustrierend, auch schmerzhaft. Ich musste mir immer wieder selbst sagen, dass ich eine kompetente Person bin, dass ich auf jeden Fall etwas finden werde.“

„Meine Aufgabe bestand auch darin, emotionale Aufbauarbeit zu leisten und Motivation zu schaffen, da die Stellensuche wegen des Lockdowns stagnierte“, erklärt die Mentorin. „Neben dem fachlichen Austausch war es mir wichtig, in die Praxis zu gehen, das heißt: rausgehen, Kontakte knüpfen, neue Impulse erhalten – das schult das freie Sprechen und gibt Selbstsicherheit. Das war durch die Pandemie leider nur bedingt möglich. Ich hätte sehr gerne Präsenzveranstaltungen und Tagungen des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) mit Oana besucht. Das ist ein geniales Netzwerk, um sich mit anderen Menschen aus der Branche auszutauschen und zu vernetzen. Durch den Wegfall von analogen Veranstaltungen konnten wir das Potenzial dieses sozialen Netzwerks nicht zu 100 Prozent ausschöpfen.“

Beruflicher Erfolg durch Netzwerkarbeit
Trotz der widrigen Umstände war die Zusammenarbeit zwischen Mentorin und Mentee mehr als fruchtbar: „Das Verhältnis zu meiner Mentorin war immer sehr persönlich, wir hatten ganz viel menschlichen Austausch. Durch Claudia habe ich viele Vorschläge und Anregungen erhalten: Was kann ich anders machen? Welchen Weg muss ich gehen, um eine Anstellung zu finden? Ich habe endlich Antworten auf meine Fragen gefunden. Dadurch bin ich mental gestärkt aus dem Programm herausgegangen. Ich habe eine dreimonatige IT-Fortbildung in Produktdesign belegt. Das hat mir geholfen, meine Programmkenntnisse zu verbessern. In der Ukraine haben wir mit anderen Design-Programmen für die Produktion gearbeitet.“, erklärt Oana Anton.

„Dadurch, dass mich meine Mentorin in ihre Netzwerke integriert hat, habe ich ab März 2021 einen Praktikumsplatz über einen Werkvertrag beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI) sicher – das ist wirklich klasse. Ohne das Programm und ohne meine Mentorin hätte ich diese Stelle niemals erhalten. Ich bin für die Zukunft sehr optimistisch. All die Rückschläge und Schwierigkeiten haben mich auf jeden Fall stärker gemacht.“, erläutert die zweifache Mutter.

„Die beiden waren ein Selbstläufer“, bestätigt Ursula Lemmertz. „Frau Anton hat immer Kontakt zu uns gehalten, Feedback gegeben und präzise auf unsere Fragen geantwortet. Wir als Kontaktstelle begleiten den laufenden Mentoringprozess nur lose. Wir stehen immer zur Verfügung, drängen uns aber nicht auf - das ist ein Balanceakt zwischen Kontakt halten und die Tandempaare laufen lassen. Damit sich die Mentees untereinander austauschen können, organisieren wir regelmäßige Videokonferenzen. Zum Abschluss des Programms finden ausführliche Tandemgespräche zur gemeinsamen Reflexion statt.“

Wie gelingt der Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt? Tipps von den Expertinnen.
„Das Wichtigste ist, einen Fuß in die Tür zu kriegen“, erklärt Claudia Koch. „Machen Sie ein Praktikum, um Praxiserfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen – das ist ein niederschwelliges Angebot, das weitere Türen öffnen und vielleicht sogar in einem langfristigen Arbeitsverhältnis münden kann. Ein weiterer Tipp: Engagieren Sie sich in Vereinen, um rauszukommen. Auch wenn die Bedingungen manchmal nicht so optimal sind, machen Sie einfach mit! Seien Sie mutig und probieren Sie sich aus. Sehr oft trifft man auf nette und hilfsbereite Menschen, die Rat geben, helfen und unterstützen. Der Weg entsteht im Gehen, das ist eine ganz wichtige Erkenntnis. Dann ist es auch nicht schlimm, mal zu scheitern oder nicht immer alles richtig zu machen.“

Ursula Lemmertz von der Kontaktstelle Freiburg sieht auch die Unternehmen in der Verantwortung: „Frauen mit Migrationsgeschichte müssen eine Chance zum Einstieg bekommen. Hier müssen die Arbeitgebenden flexibler werden und Angebote machen. Jede*r braucht eine Chance, um überhaupt einsteigen und sich bewähren zu können. Hier bieten sich Arbeitsproben, Praktika oder befristete Anstellungen an. In den sogenannten Mangelberufen – also in den Bereichen, in denen eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften besteht – ist der Arbeitsmarkt sehr viel offener. Da werden Fachkräfte gezielt aus dem Ausland angeworben, zum Beispiel im Pflegebereich. Auch sollten die Möglichkeiten für Quereinstiege ausgebaut werden. Gerade bei Frauen, deren Kompetenzen perfekt ins Berufsprofil passen, sollte ein Quereinstieg möglich sein. Hier braucht es Best-Practice Beispiele und gezielte Öffentlichkeitsarbeit. Es ist wichtig, dass positive Rollenvorbilder sichtbar gemacht werden – damit wir beim Arzt nicht nur an den alten, weißen Mann denken, sondern auch an die junge, migrantische Frau.“

Das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen
Das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen startete 2017 und wird von der unabhängigen Forschungs- und Beratungsorganisation EAF Berlin evaluiert. Die Ergebnisse belegen, dass das Programm die Teilnehmerinnen erfolgreich beim Einstieg in den Arbeitsmarkt unterstützt.

Der Mentoringprozess ist auf sechs bis acht Monate angelegt.
Im Rahmen des Mentoring unterstützt eine beruflich erfahrene Mentorin ihre Mentee mit ihrem Wissen und ihren Kontakten bei der Berufswegplanung und dem Aufbau eigener Netzwerke. Die Mentorin gibt wertvolle Tipps, vermittelt Kontakte und Einblicke in die deutsche Berufswelt.

Koordiniert wird das Mentorinnen-Programm von der Service- und Koordinierungsstelle des Landesprogramms der Kontaktstellen Frau und Beruf.
Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg fördert es mit rund 100.000 Euro.

Das Landesprogramm Kontaktstellen Frau und Beruf berät seit 1994 Frauen in allen beruflichen Belangen. Die landesweit zehn Kontaktstellen haben sich als Anlaufstellen etabliert, ihre Angebote sind niederschwellig und regional. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Integration von Frauen ins Erwerbsleben.
 

Portrait Oana Anton

Mentee Oana Anton

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