Migrantinnen und der Fachkräftemangel

Kollage aus Fotos der Veranstaltung

Kollage aus Fotos der Veranstaltung

Mannheimer Symposium "Fachkräftegewinnung meets hochqualifizierte Migrantinnen"

Sie sind hochqualifiziert, sprechen meist mehrere Sprachen perfekt, bewegen sich sicher in verschiedenen Kulturen und verfügen in der Regel über soziale Kompetenzen, nach denen sich Arbeitgeber die Finger lecken. Die Rede ist von Frauen mit Migrationshintergrund, also von Frauen aus Migrationsfamilien, die bereits in Deutschland aufgewachsen sind, aber dennoch in der Erwerbsstatistik zurückfallen und die die Unternehmen offenbar nicht auf dem Schirm haben, wenn sie händeringend versuchen, ihre offenen Stellen zu besetzen.

Es sind Frauen, die oft aus bildungsfernen Familien kommen und sich trotzdem durchgebissen und alle Hürden genommen haben, um einen guten Abschluss zu machen. Aber: „Kennen Sie ein einziges (Förder-)Programm für diese Frauen?“ Diese Frage stellt Zahra Deilami, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Mannheim, in ihrer Einführung zum Thema „Fachkräftegewinnung meets hochqualifizierte Migrantinnen“ am 18. Oktober 2023 in Mannheim.

 

Erst Fachkräftemangel, jetzt Arbeitskräftemangel

Dabei fehlen Fachkräfte überall. Der Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, Christian Specht, spricht in seinem Grußwort von 400 offenen Stellen in der Mannheimer Verwaltung. Aus dem Fachkräftemangel, der seit zehn Jahren bestehe, sei ein Arbeitskräftemangel geworden. Gerade für Frauen sei der öffentliche Dienst mit seinen verschiedenen Teilzeitmodellen aber ein interessanter Arbeitgeber. In Mannheim liege der Frauenanteil in der Verwaltung bereits bei 56 Prozent. Dennoch seien Frauen mit Migrationserfahrung* oder Migrationshintergrund* dort unterrepräsentiert.  Wichtig sei, so Specht, Bürokratie abzubauen, etwa bei der Anerkennung von Abschlüssen. Zudem müssten „Heldinnen des Alltags“, die es bereits in Führungspositionen geschafft haben, sichtbarer gemacht werden und könnten beispielsweise in Schulen als Vorbilder dienen.

 

Wirtschaftsministerin wirbt für Mentorinnen-Programm für Migrantinnen

Auch Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Schirmherrin der Veranstaltung, hält den Abbau bürokratischer Hürden für Migrantinnen für dringend notwendig. Auch andere Länder werben um Hochqualifizierte aus dem Ausland, da müsse man schneller werden. Zehn Welcome Center im Land beraten und unterstützen Frauen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen. Auch das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen in Baden-Württemberg nimmt eine Vorreiterrolle ein. Es hat bereits fast 500 Tandems zusammengeführt. Dabei steht jeweils eine beruflich erfahrene Mentorin einer ausländischen Mentee zur Seite.

Dr. Birgit Buschmann, Referatsleiterin Wirtschaft und Gleichstellung im Wirtschaftsministerium, berichtet über die Erfolgsgeschichte des Mentorinnen-Programms für Migrantinnen. Das Programm der Kontaktstellen Frau und Beruf startete 2017 und befindet sich derzeit in der siebten Runde mit rund 70 bis 75 Tandems pro Jahr. Es ist zertifiziert und wird jährlich evaluiert. Die ehrenamtlichen Mentorinnen werden auf ihre Rolle vorbereitet. Rund 90 Prozent der teilnehmenden Mentees sind sehr gut qualifiziert und Akademikerinnen. Ein Großteil kommt aus den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften oder MINT-Berufen. Sie erhalten neben dem eigentlichen Mentoring zahlreiche weitere Unterstützungsangebote bei den Kontaktstellen Frau und Beruf und am Ende ein Zertifikat. Wichtig sind v.a. die Aktivierung und Stärkung des Selbstbewusstseins, Bewerbungstraining und die Erkenntnisse über eigene Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten sowie Stärken und Kompetenzen. Und das Programm wirkt, denn 2022 haben 43 Prozent der Mentees nach dem Programm einen Einstieg in den Arbeitsmarkt gefunden. 32 Prozent befanden sich in Aus- und Weiterbildung oder Praktikum. Mehr zum Mentorinnen-Programm für Migrantinnen finden Sie hier.

 

Zahlen zur Erwerbstätigkeit von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte

In einer umfangreichen Studie hat Tanja Fendel vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg die Unterschiede in der Erwerbstätigkeit von Frauen mit und ohne Migrationshintergrund untersucht und stellt ihre Ergebnisse vor. So sind Migrantinnen mit Kindern unter drei Jahren nur halb so häufig erwerbstätig wie Frauen ohne Migrationshintergrund. Fendel fasst zusammen: Zugewanderte Frauen stoßen aufgrund ihrer höheren Betreuungspflichten auf Barrieren und müssen zusätzliche Integrationshürden überwinden. Unterstützungsangebote und Beratung zu Themen wie Arbeitssuche, Spracherwerb oder Anerkennung von Abschlüssen hätten daher eine hohe Relevanz für die Frauen. Auch die Integration der Kinder in das Bildungssystem und Betreuungsangebote seien von großer Bedeutung.

 

Über 1000 Schwäne

Frauen mit Migrationshintergrund, die bereits hier aufgewachsen sind, brauchen dagegen keine Heranführung an den deutschen Arbeitsmarkt. Sie sprechen die deutsche Sprache und kennen den deutschen Arbeitsmarkt. Aber sie fühlen sich - nicht nur auf dem Arbeitsmarkt - „mehrdimensional benachteiligt“: als Frauen mit anderer Hautfarbe, als Musliminnen oder einfach, weil sie einen schwer auszusprechenden Namen haben.

An diesen Herausforderungen setzt die Berliner Initiative „SWANS“ an. Zielgruppe sind hochqualifizierte Frauen mit Migrationsbiografie, die in Deutschland aufgewachsen sind: „Sie sollen die Jobs bekommen, die sie verdienen“, stellt Melanie Bayo das Ziel der Initiative vor.

Dazu bietet SWANS kostenlose Seminare an, zum Beispiel zu Gehaltsverhandlungen, Existenzgründung oder Kommunikationstraining und vielem mehr. Die „Schwäne“ erhalten kostenloses systemisches Coaching, einen Bewerbungscheck oder werden an Mentorinnen vermittelt. Das Wichtigste sei aber das Netzwerk, in dem man Erfahrungen austauschen könne, sagt Bayo. Mittlerweile zählt das Netzwerk über 1.000 „Schwäne“. Interessierte Frauen mit Migrationsbiografie können dem Programm immer im April und Oktober beitreten. In diesem Herbst wurden bereits knapp 150 neue Schwäne aufgenommen.

In einem aufrüttelnden Vortrag schilderte die Swan-Mentee Afia Ahmed, mit welchen Hindernissen sie als Frau mit „einem Stück Stoff“ auf dem Kopf zu kämpfen hatte und wie sie zu Beginn ihrer akademischen Laufbahn von ihren Kommilitonen beispielsweise für die Putzfrau des Hörsaals gehalten wurde.

Auch für Unternehmen ist die Initiative interessant, denn SWANS bietet ihnen einen direkten Zugang zu hochqualifizierten Fachkräften. Die Initiative arbeitet bereits mit Unternehmen wie McKinsey und SAP zusammen.

 

Best Practice bei SAP

Dass SAP Frauen mit Migrationsbiographie durchaus im Blick hat, zeigt Sandra Zajonz, Personalerin des Walldorfer Unternehmens, in ihrem Best-Practice-Beitrag. Diversity und Inklusion werden bei SAP groß geschrieben. Dafür wurde das Unternehmen bereits mehrfach ausgezeichnet. „Unterschiede zwischen Menschen sollten geschätzt und gefeiert werden“, so Zajonz. Nicht nur Abschlüsse zählen, sondern auch die Geschichte der Menschen, die hinter jeder Bewerbung steht. Dafür würden die Entscheider bei SAP sensibilisiert. SAP arbeitet auch im Bereich Social Media mit Role Models aus der Belegschaft, die zeigen sollen, dass es jeder und jede schaffen kann. Bei Stellenausschreibungen wird darauf geachtet, dass sich Frauen angesprochen fühlen. Die Personalverantwortlichen „rekrutieren möglichst viele Kandidatinnen und Kandidaten" und halten den Kontakt zu ihnen, um sie eventuell später für andere Positionen einsetzen zu können. Wichtig ist dabei immer, das Potenzial zu erkennen, das die Person mitbringt, und nicht nur auf die formale Qualifikation zu schauen. Um Ungerechtigkeiten bei der Auswahl zu vermeiden, können die Entscheiderinnen in Workshops („Unconscious Bias“) ihre eigenen Vorurteile erkennen, um dann „möglichst viele diverse Kandidatinnen und Kandidaten“ einzustellen.

In fünf Think Tanks wurden im Anschluss an die Vorträge verschiedene Themen zur Integration von Frauen mit Migrationsgeschichte vertieft.

 

Weitere Infos

*Frauen mit Migrationsgeschichte: Es wird unterschieden in Frauen mit eigener Migrationserfahrung, also Frauen, die als Migrantinnen oder Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind und Frauen mit  Migrationshintergrund. Letztere sind in der Regel die in Deutschland geborenen Kinder aus Migrationsfamilien.

Veranstalterinnen: Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Mannheim, Fachbereich Demokratie und Strategie in Kooperation mit folgenden Kooperationspartner und -partnerinnen:
Fachbereich Organisation und Personal der Stadt Mannheim, Kontaktstelle Frau und Beruf Mannheim – Rhein-Neckar-Odenwald, Beauftragte für Chancengleichheit Arbeitsagentur Mannheim, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt & Migration, Jobcenter Mannheim

Schirmherrin: Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin, Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, MdL 
Die Veranstaltung ist ein Projekt aus dem Gleichstellungsaktionsplan der Stadt Mannheim im Zuge der Umsetzung der Europäischen Charta zur Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene und wird im Rahmen der Frauenwirtschaftstage 2023 Baden-Württemberg durchgeführt.